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Ausgedroschener Stoff

(…) Was mein damals angefangenes Trauerspiel anbelangt, so habe ich es noch fortgesetzt bis zum dritten Akt, dann blieb es liegen, und jetzt wird es auch wohl ferner liegen bleiben, Es enthält zwar mitunter ganz gute Stellen, aber der Stoff ist übel gewählt, hätte ich es in damaliger Zeit fertig gemacht, wo ich dieses noch nicht einsah, sondern mir im Gegentheil diese Idee sehr lieb und begeisternd war, so wär es wohl so übel nicht geworden, aber es ist ein entsetzlicher Gedanke einen Stoff zu bearbeiten, für den ich nicht die mindeste Liebe mehr habe, es ist mir leid, ich wollte, daß ich es damahls fertiggemacht hätte, außerdem habe ich in dieser Zeit nichts Bedeutendes aufzuweisen, außer einer Anzahl Gedichte, wovon verschiedene geistliche Lieder, die ich für meine Grosmutter geschrieben habe, vielleicht die besten sind, ein Gedicht was ich als Zueignung in ein Exemplar des Walthers schrieb, welches meine Mutter an ihre vier unverheyratheten Schwestern nach Bökendorf schickte, lege ich bey, damit Sie alles haben was auf dieses Werkchen Bezug hat, ich möchte mich jetzt auch wohl einmahl in Prosa versuchen; und zwar, da ich mich nicht gleich anfangs übernehmen mag, in einer Novelle oder kleinen Geschichte, vorerst, aber, du lieber Gott, wo soll ich einen Stoff finden, der nicht schon (Ich lege dies ungleiche Blatt bey, weil ich sehe, daß das andre Papier so durchschlägt) hundertfach bearbeitet und zerarbeitet wäre, „Denn ihr Name ist Legion“.

Ich hatte seit 1 1/2 bis 2 Jahren nicht viel von diesen Dingern gelesen, wußte also nicht recht, wie die COMMERCIEN standen, und hatte mir also schon einen recht hübschen Stoff fast ganz durchgearbeitet, so, daß außer dem Niederschreiben nicht viel mehr fehlte, da der ganze Gedanke der Geschichte sich zum Traurigen neigte, und ich doch keine große Freundinn von plötzlichen Todesfällen bin, so trat meine Heldinn gleich anfgangs mit einer innerlich schon ganz zerstörten, und auch äußerlich sehr zarten und schwächlichen Constithution auf, ich hatte die Idee mit Liebe und Wärme überdacht und ich glaube und hoffe daß es nicht mißlungen seyn würde, da lassen wir uns in die Lesebibliotheck einschreiben, und fodern, weil wir sie in vielen Jahren schon ganz durchgelesen haben, blos die neusten Sachen, gleich zu Anfang „3 Novellen“ wo in Zweyen die Heldinn auf denselben Füßen stand, wie die Meinige, das frappirte mich, in den folgenden Wochen, ebenso, kurz, ich merke bald, daß ich, anstatt etwas Neues zu erfinden, an den Lieblingsstoff unserer Zeiten gerathen bin, nur mit dem Unterschiede, daß meine Heldinn weder magnetisirte noch magnetisirt wurde, weil ich zu wenig vom Magnetismus kenne, um darüber zu schreiben, da hingegen den Heldinnen der Lesebibliothek, eben dazu oder deswegen ihre Zartheit und Schwächlichkeit ertheilt war, denn diesem großen unbegreiflichen, wenigstens mir unbegreiflichen Gegenstände geht es wie dem Löwen in der Fabel, der sogar den Esel schlug, jedes junge Rind muß seine ersten Hörner daran ablaufen, es ist mir aber nun unmöglich, meine Novelle fertig zu machen, da sie schon so viele Schwestern hat, die ihr zwar in der Haupttendenz gänzlich unähnlich, in der Form aber desto ähnlicher sind, schelten Sie nicht, mein geliebter Freund, wenn ich wüßte, daß meine Unbeständigkeit Sie verdrösse, so wollte ich viel lieber meine Novelle niederschreiben, ich würde sie überhaubt nicht liegen lassen, wenn ich schon angefangen hätte zu schreiben, aber da das ganze Ding nur noch eine Idee ist, so dünkt mich, es ist besser, ich gehe weiter, und suche mir einen andern Stoff, wenn ich nur einen finden kann, der nicht so ganz und gar ausgedroschen ist. (…)

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