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Buch und Pantoffeln gehen vor

(…) in meinem Koffer (der noch immer nicht da ist) liegt, was von dem „Westfalen“ („Bei uns zu Lande auf dem Lande“ heißt’s eigentlich) fertig ist, nebst dem Material, den geistlichen Liedern, um sie hier durchzuarbeiten und ins Reine zu schreiben. Auch das Lustspiel habe ich zur Feilung mitgenommen. Wenn ich hinzufüge, daß Therese so gut wie gar keine Zeit hat und ich meine Strümpfe selber stopfe, ferner ein Paar Pantoffeln für Laßberg zu Weihnachten sticke und noch der Therese Heisdorf versprochen habe, ihr etwas auszuschneiden, so siehst Du, daß ich einen guten Berg Arbeit vor mir habe. Das Buch und die Pantoffeln müssen aber vorgehn; vom übrigen was möglich ist. Da Schücking so wenig Zeit hat, werde ich Jenny abends vorlesen, was fertig ist. Sie sagt, das störe Laßberg gar nicht in seinem Puffen, und ohne jemandes Teilnahme arbeitet man nicht mit Luft. (…)

Im Winter 1841/42 in Meersburg ist die Droste äußerst produktiv. Unter dem Ansporn Schückings schreibt sie täglich ein oder auch mehrere Gedichte. Es entstehen mehr als 30 lyrischen Werke, darunter "Am Turme", "An die Weltverbesserer", "Die beste Politik", "Die Taxuswand", "Im Moose", "Mein Beruf", "Meine Toten", "Locke und Lied".

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Dass das lyrische Gedicht ihr eigentlichster Beruf, war die Ansicht und Überzeugung, die ich zu dann verfechten pflegte; nicht ohne die Dichterin dabei wohl mit einer längeren ästhetischen Auseinandersetzung zu begünstigen, wie es jedoch geraumer Zeit bedürfen würde, um mit einer Sammlung lyrischer Gedichte vor die Welt treten zu können, weil eben die lyrischen Stimmungen und Empfindungen nicht alle Tage kommen und eine neue Blüte treiben, sondern nur von Zeit zu Zeit, wenn einmal irgendein Sturm oder eine Strömung unser Leben ergreift und den schlummernden Meeresspiegel des Gemüts ins Wogen und Wellenschlagen bringt.
    Das Fräulein hörte mir dann meist mit einem skeptischen Lächeln um ihren kleinen, anmutigen Mund zu; auch eines Morgens in der Bibliothek, wo sie meinen Arbeiten zuschaute; hoffärtig hatte sie mehrmals den Kopf in den Nacken geworfen, wie ein mutiges Pferdchen, und was aus ihren Augen mich anblickte, sah weit mehr wie gutmütiger Spott über die ästhetische Doktrin, die ich entwickelte, aus, denn als Einverständnis damit. … gewiss ist, dass sie sich in diesem Augenblick stark genug dazu fühlte, sie [die Poesie] herbei zu kommandieren – dass sie in sich einen Reichtum des Gemüts, der Empfindung und der Gedanken fühlte, aus dem sie gewiß war, nur immer schöpfen zu können, ohne den Schatz zu mindern: eine Fülle lyrischer „Stoffe“, die ja eigentlich und im ganzen von ihr noch gar nicht angetastet und angebrochen war. Sie meinte deshalb mit großer Zuversicht, einen reputierlichen Band lyrischer Gedichte werde sie mit Gottes Hilfe, wenn sie gesund bleibe, in den nächsten Wochen leicht schreiben können.
    Als ich widersprach, bot sie mir eine Wette an und stieg dann gleich in ihren Turm hinauf, um sofort ans Werk zu gehen. Triumphierend las sie am Nachmittag bereits das erste Gedicht ihrer Schwester und mir vor, am folgenden Tage entstanden gar zwei, glaub ich – meine Doktrin erhielt von nun an fast Tag für Tag ihr wohlausgemessene und verdiente Züchtigung. So entstand in weniger Monate Verlauf, in jenem Winter 1841 bis 1842, die weitaus größte Zahl ihrer lyrischen Poesien, welche den Band ihrer „Gedichte“ füllen.
    Aus: Annette von Droste. Ein Lebensbild. 1862

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