Site Overlay

Ein Grospapa aller Stürme

(…) Sie sind jetzt wohl ganz gewiß wieder in Münster, lieb Herzchen, und so gehe ich denn an meine liebste Beschäftigung, die, Ihnen zu schreiben. Ich bin indessen noch keinen Tag von Ihnen getrennt gewesen, alle Nachmittage um drei (außer vorgestern, wo es hart regnete) habe ich an unserem Strande gesessen, der mir durch Sie so lieb geworden ist, daß keine andere Erinnerung neben Ihrem lieben Gesichtchen dort ein Haarbreit Raum findet.

Es hat mich ein paarmahl selbst überrascht, wenn beym zufälligen Zurückblicken mir einer meiner alten Lieblingsplätze ins Auge fiel, wie ich so alle Tage dran hertrotte, als wären’s Laternenpfähle oder Rebstöcke. O vanitas vanitatum! Ich habe auf unserm Kiesgrund noch schöne schöne Dinge gesehn, und das Herz hat mir ordentlich geblutet, daß Sie nicht da waren – zweymahl ein Alpenglühen, wogegen das frühere gar nicht in Betracht kam, die ganze Alpenkette wie rotes Eisen, und sonst noch prächtige mir ganz fremde Beleuchtungen, z. B. einmahl die Kuppen der Berge ganz dunkelviolett, der Fuß ebenfalls, und um die Mitte ein breiter Wolkengürtel, in dem das Abendrot den brennendsten Purpur widerstrahlte, und der wie ein Lavastrom in allen Tinten wallte, es war unbeschreiblich schön und fremdartig!

Auch der See hat noch ein paarmahl sein Bestes getan an Grüne und Schmelz, und einen Sturm habe ich erlebt, oh, einen Grospapa aller Stürme, und habe Gott gedankt, daß ich ihn allein überstehn mußte. Es war in der zweiten Woche nach Ihrer Abreise, ich hatte einen langen Spaziergang weit über Haltenau hinaus gemacht und mich eben zum Rückwege gewendet, als ein wahres Teufelswetter losbrach, ohne Regen, nur Sturm, aber um Berge zu versetzen. Bei jedem Ruck faßte er mein dickes wattiertes Kleid und wollte mich über die Mauer reißen, so daß ich gleich bergan in die Reben flüchten mußte, wo ich mich kümmerlich an den Pfählen fortlavierte bis Haltenau und dort wie ein verunglückter Luftballon ins Haus mehr plumpste als flatterte, nämlich mit halbem Überstürzen, was sich wahrscheinlich eher mitleidswert als graziös mag ausgenommen haben. Die dicke Rebfrau konnte auch mit ihrem „B’hütis Gott! b’hütis Gott!“ gar nicht aufhören und meinte, sie würde jetzt um fünf Gulden nicht über die Mauer nach Meersburg gehn. Was half das alles! Ich mußte doch nach Hause, obwohl das Wüten draußen mit jeder Minute ärger wurde.

So ging ich wieder los und versuchte als letzten Ausweg, mich gleich den Berg hinauf zu arbeiten, wo ich schlimmstenfalls doch nur bis in die nächsten Rebpfähle geschleudert werden konnte – freylich, wenn’s mit Vehemenz geschah, immer gefährlich genug, und zudem hätte ich, wie sie wissen, Klippenwände passieren müssen. Vielleicht war’s gut, daß der Versuch mißlang,, es war keine Möglichkeit, bey jedem Schritt höher konnte mich der Wind derber packen, ich mußte mehr kriechen als gehn und bey jedem Ruck niederhocken, um nicht weggerissen zu werden, also wieder bergab! Doch blieb ich zwischen den Reben, etwa dreißig Fuß über dem Mauerwege. Es war eine greuliche Arbeit; ich habe über eine Stunde gebraucht; die meiste Zeit saß ich in einem Klümpchen dicht zusammen und wartete die Pausen der Stöße ab, um dann zehn oder zwölf Schritte voran zu arbeiten.

Was wir zusammen erlebt haben, kann Ihnen nicht mal einen schwachen Begriff davon geben, aber der See war unbeschreiblich schön, so durchsichtig und in allen Farben wechselnd, wie ich davon vorher keinen Begriff gehabt. Die Sonne warf durch Wolkenlücken ein prächtiges falsches Licht darauf, und ich wurde fast geblendet durch das Blitzen der Springwellen, die unter mir wie eine endlose Reihe Fontänen aufstiegen, und zwar nicht, wie wir es kennen, nur diesseits der Mauer, sondern wenigstens vierzig Fuß höher, weit über mir und meinen Rebstöcken, niederplatschten, so daß ich nach ein paar Minuten keinen trocknen Faden mehr am Leibe und mein Rock sich in einen gefüllten Schwamm verwandelt hatte, der mich niederzog wie Blei.

Ich kann Ihnen sagen, Elise, daß ich froh war, als ich das Tor über mir und meine bedenkliche Fahrt sich in eine klatrige durch die Unterstadt verwandelt hatte. Noch einmahl hatte ich einen schweren Stand, die Stiegen hinauf, wo der Wind wieder alle Macht hatte, und besonders auf der langen schmalen Brücke über den Mühlrädern, wo ich einmahl keinen andern Rat wußte, als mich platt hinzuwerfen, und doch wohl herabgeweht wäre, wenn nicht der Müller, der auch grad genötigt war die Brücke zu passieren, mich am Boden festgehalten und dann auch die letzte Stiege hinauf geleitet hätte. Als ich ins Schloß kam, schnatternd und einen nassen Streifen hinter mir lassend wie ein geschwemmter Hund, ward ich auch empfangen wie ein armer Hund. Es mißlang mir in mein Zimmer zu schlüpfen, Laßberg stand zufällig im oberen Flur und erhob ein solches Geschrei: „Um Gotteswillen! Wo kommen Sie her! Was haben Sie gemacht! Was denken Sie auch!“, daß ich gleich auf eine sehr unerwünschte Weise en famille geriet. Mama war anfangs wirklich böse, glaubte mir aber doch sogleich, daß ich bey ganz leidlichem spazierfähigem Wetter ausgegangen sei. Laßbergen konnte ich mich nicht begreiflich machen, er war tauber wie gewöhnlich, und ich habe ihn mitten in seinen Exklamationen über meine Unvernunft müssen stehn lassen, denn mich fror erbärmlich. Jenny sagte nichts, aber sie bestellte sogleich einen heißen Krug und Tee, nahm mich dann beym Arm und brachte mich in meinem Zimmer zu Bette. Meinen dicken Rock habe ich acht Tage lang nicht anziehn können, so lange hat er auf dem Boden trocknen müssen.

Da mir das Abenteuer nicht geschadet hat, ist’s mir doch lieb, den See einmahl in seiner tollsten Laune gesehn zu haben, um so mehr da es nur für einmahl im Leben ist, denn ein anderes Mal werde ich mich hüten! Ich mag die Lachsforellen und Gangfische viel lieber essen, als von ihnen gegessen werden, und es würde mir sogar nur wenig Trost bringen, wenn statt ihrer meine Lieblinge, die Möwen, mich aufpickten. Am nächsten Tage hörten wir von vielem Unglücke am See, einem untergegangenem Schiffe und einigen einzeln Verunglückten. Und mit dieser Trübsal muß ich für heute schließen, denn es schlägt eben acht. Gute Nacht, lieb Herz, bis morgen, ich wollte Sie träumten von mir!

Elise Rüdiger, mit der die Droste viele Spaziergänge am Bodensee unternommen hat, ist am 14. Oktober 1843 wieder nach Münster abgereist.
Copyright © 2024 Nach 100 Jahren. All Rights Reserved. |  by John Doe