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Ich kann nicht reisen

(…) ich gehe nicht mit nach Meersburg, so äußerst fatal es mir auch ist, Mama allein mit Marie reisen zu lassen, aber ich kann nicht, und Mama will es deshalb auch nicht. Ich bin krank, obwohl wenig leidend, weniger als sonst, aber es sind Umstände da, die durchaus beseitigt werden müssen. Ich kann z. B. gar nicht gehn, nicht zweymahl unsern kleinen Garten entlang, ohne daß mir das Blut dermaßen zu Kopfe steigt, daß ich zu ersticken meine, und Fahren geht auch nicht viel besser, eine Stunde Weges (z. B. von hier bis Hülshoff) ist hinlänglich, daß ich mich dann gleich zu Bette legen muß und die ganze Nacht wie im Fieber liege.

Ich habe wohl schon lange gemerkt, daß ich nicht reisen konnte, mochte es aber nicht sagen, und Mama merkte es auch, und mochte es ebenfalls nicht sagen, damit ich nicht denken sollte, sie wünsche meine Begleitung nicht, bis wir neulich in Hülshoff den armen Werner so sehr leidend an seinem Knie fanden, und, leider, leider! mit sehr geringer Aussicht auf völlige Herstellung, dabey so niedergeschlagen und apprehensiv[1]apprehensiv: ängstlich, sorgenvoll, und so ganz ohne Aufheiterung (da Line den ganzen Tag über ihre Geschäfte hat), daß die Sache dort von allen Seiten zur Sprache kam und ausgemacht wurde, daß ich statt nach Meersburg zu ihm nach Hülshoff gehn solle, um ihm, wo möglich, die Grillen etwas zu vertreiben, und zugleich selbst eine ordentliche homöopathische Kur zu unternehmen, da in Meersburg kein Homöopath ist. Ich sah wohl ein, daß die Andern Recht hatten, und daß ich auch sonst wahrscheinlich auf der ersten Tagereise liegen bleiben würde.

So ist es denn ausgemacht, obwohl mir sehr hart, daß ich Mama am 30ten allein muß abreisen lassen, indessen sehe ich deutlich, daß ihr damit ein Stein vom Herzen gefallen ist, und sie nicht gewußt hat wie sie mich heil überbringen sollte. Sitze ich übrigens (wie jetzt eben) auf meinem Kanapee, so thut mir auch kein Finger weh, und ich hoffe deshalb, Bönninghausen wird mich schon wieder zurecht flicken. (…)

References
1 apprehensiv: ängstlich, sorgenvoll
Annettes Bruder Werner und dessen Frau Caroline (Line) haben inzwischen neun Kinder; drei weitere sind bereits tot.
Clemens von Bönninghausen ist der Homöopath, von dem Annette Droste sich behandeln lässt.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Selten sah ich den Glärnisch und entferntere Alpen so klar, überhaupt hatten wir die letzten 14 Tage herrliches Wetter, so dass ich meine Gartenarbeiten recht vollenden konnte, ich habe auch in deinem Rebberg das kleine Beet angelegt mit Erdbeeren, Stachel- und Johannisbeeren, worauf ein Reine Claude und Sauerkirschenbaum gesetzt werden, so dass du mit der Zeit etwas zu schnabulieren bekommst …

    Ich hoffe, liebe Nette! du wirst das deinige dazu tun, dass Mama sicher und schon im Mai mit dir sich aufmacht, wartet ihr länger, so werden die Verwandten im Paderbornischen nicht nachlassen, bis ihr dorthin kommt, und dann kann die Reise leicht wieder aufgeschoben werden, du weißt aber selbst, und wirst es leider vielleicht diesen Winter wieder erfahren, wie übel dir die Luft in unserm übrigens so guten Ländchen bekommt, und musst eilen, dich durch die Seeluft wieder zu kurieren.
    Meersburg, 26. November 1845

  2. Wie sehr wir uns auf dich und Mama, und alle die ihr mitbringen könntet, freuen, weißt du, liebe Nette! Ich wollte, ihr wäret erst hier, denn ich fürchte immer, es kommt noch etwas dazwischen; und wie wird es sein? Wird Mama über Neuhaus gehen, und du mit der Rüdiger reisen, dies möchte ich wissen, so sehr es mich freuen würde, einen der Onkels zu sehen, so wage ich dies doch kaum zu hoffen, sie sind zu unbeweglich.

    So oft habe ich in dieser Zeit mir euer Leben in Rüschhaus vorgestellt, als die lieben Tanten dort waren, wie schön mögen die Nachtigallen geschlagen haben? Aber auch hier war es schön, wir hatten einige herrliche Tage, als [der Neffe] Heinrich hier war, einmal gingen wir vom Frieden aus über den Bengel am See zu Hause, nie sah ich die Gegend schöner beleuchtet, und am Tage vor seiner Abreise war ich mit ihm und den Kindern beim Figel, wo es auch so schön war, ich denke noch mit Vergnügen der Zeit seines Aufenthalts bei uns und kann wohl sagen, dass ich für ihn noch ganz meine alte Vorliebe für ihn behalten habe, Gott schütze ihn, er ist noch so ganz unverdorben, ich hoffe, Werner wird erlauben, dass er im Herbst wieder seinen Rückweg über hier nimmt. …

    Alles freut sich auf eure Ankunft, besonders die Fürstin, Rüplin und Emma, darum zögert doch nicht zu lange, bis die schönste Zeit vorüber ist, und die Hitze kommt; dein Garten ist schon fast ganz bepflanzt, die Köchin arbeitet wie ein Pferd darin, er kommt uns gut zu statten, auch in den Reben steht es gut, so dass man auf ein sehr gutes Jahr hofft.
    Meersburg, 24. Mai 1846

  3. Johann Wilhelm Joseph Braun sagt:

    Über Ihr Befinden habe ich sehr verschiedene Nachrichten erhalten. Diese machten Sie ungeheuer dick, die andern hingegen ganz das Gegenteil. Ich freue mich zu erfahren, dass diese Nachrichten unrichtig waren. Aber zur Erhaltung Ihrer Gesundheit sind zwei Dinge nötig: Bewegung und Luft, und Luft und Bewegung, und das dritte, dass Sie sich regelmäßig Luft und Bewegung verschaffen.

    Kommen Sie hieher und Sie sollen gezwungen werden diese Dinge zu gebrauchen. Wir leben hier wie ein Uhrwerk, das auch dann seinen Weg fortgeht, wenn es regnet und schneit.
    Bonn, 10. November 1845

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