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Luise mag es töricht finden

Nun zu Euern Geschenken. Ihr gutes Volk, ich habe mich recht tüchtig darüber gefreut; kindisch, würde Luise vielleicht sagen, aber das schadet nicht, die Freude bleibt mir doch. Luise hat übrigens Recht, die Lorgnette ist mir zu lieb, als daß ich sie nicht immer bey mir haben sollte, wenn auch nicht immer an mir. Beim Schreiben und Zeichnen liegt sie neben mir auf dem Tische, weil ich sie an der Kante zu verbiegen fürchte; aber sowie ich aus meinem Turm tauche, wird sie umgehängt und verläßt mich selbst des Nachts nicht, wo sie wie ein treues Hündchen auf einem Seidenpapier-Kissen neben meinem Bette schläft. Es ist aber auch ein gar niedliches Ding mit seinem Blumenkränzchen wie ein Bräutchen, und ich werde mich eigens ihm zu Liebe mal herausputzen, d. h. mein schwarzseidnes Kleid anziehen, denn höher kann ich es nicht treiben.

Lebt wohl  
Lebt wohl, es kann nicht anders sein!
Spannt flatternd eure Segel aus,
Laßt mich in meinem Schloß allein,
Im öden geisterhaften Haus.
Lebt wohl und nehmt mein Herz mit euch
Und meinen letzten Sonnenstrahl;
Er scheide, scheide nur sogleich,
Denn scheiden muß er doch einmahl.
Laßt mich an meines Seees Bord,
Mich schaukelnd mit der Wellen Strich,
Allein mit meinem Zauberwort,
Dem Alpengeist und meinem Ich.
Verlassen, aber einsam nicht,
Erschüttert, aber nicht zerdrückt,
Solange noch das heil'ge Licht
Auf mich mit Liebesaugen blickt.
Solange mir der frische Wald
Aus jedem Blatt Gesänge rauscht,
Aus jeder Klippe, jedem Spalt
Befreundet mir der Elfe lauscht.
Solange noch der Arm sich frei
Und waltend mir zum Äther streckt
Und jedes wilden Geiers Schrei
In mir die wilde Muse weckt.

Mai 1844 

Auch die Kupfer sind gar, gar hübsch; ich habe sie in meinem grünen Kasten auf der Kommode bewahrt und bis jetzt noch alle Tage ein paarmahl besehn. Die beiden oberen Blätter habe ich zwar den Kindern gegeben, aber – werdet nicht böse darüber – ihnen sogleich wieder für Spielsachen abgetauscht, weil ich mich nicht davon trennen konnte. Luisen wird dies vielleicht ein bißchen töricht scheinen, aber Levin kennt meine Passion für dergleichen kleine Kupferstiche; ich habe eine ganze Sammlung davon, und diese sind gar nicht in Münster zu haben.

Welch eine Menge Sachen habe ich jetzt von Euch: Mineralien, Versteinerungen, Autographen, Münzen, Kupfer, Lorgnette – ich hatte sie neulich hübsch ausgelegt und geordnet; es war ein ganzer Tisch voll, und ich schämte mich ordentlich. … Könnte Luise doch einmahl in Rüschhaus sein, um alle meine Siebensachen zu sehn; ich zeige sie so gern!

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Ich glaube, dass Schücking und seine junge Frau bei einem Besuche auf der Meersburg sich rücksichtlos gegen Annette benommen haben, vielleicht nur im Übermut der Jugend, sie wie alt behandelten. Dagegen war sie bei aller Großartigkeit doch sehr empfindlich nach frauenart. Auch tadelte Frau Schücking vielleicht den Gesang von Annette, wodurch diese sich gereizt fühlte, denn sie legte Wert auf ihre wunderschöne Stimme. Frau Schücking sang wahrscheinlich nach moderner Art; ich habe sie nie singen gehört. Annette sagte aber stets etwas bitter: Sie singt so laut und so falsch. Frau Schücking war eine große, schöne, angenehme Frau, aber wohl etwas selbstzufriedener als im Umgang angenehm war.
    Brief an Hermann Hüffer, 16. Dezember 1884

  2. Luise von Gall sagt:

    Alles war an dem Figürchen kümmerlich und unbedeutend, nur die Augen waren groß und bedeutend – viel zu bedeutend, wenn auch nicht schön, denn sie waren wasserblau, und die hellen Wimpern milderten nicht den forschenden Blick dieser altklugen Augen in dem kränklichen Gesichtchen mit der flachen Nase und dem blassen reizlosen Mündchen.
    Charakterisierung einer Figur in der Erzählung „Erwin“, 1845

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