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Not und Wucher

(…) Du taugst zwar ganz und gar nichts, Paulus, und hast mir auf meinen ellenlangen Brief von Meersburg auch nicht eine Silbe geantwortet. Dennoch schicke ich Dir meine Gedichte, weil Du sonst doch immer ein braver Paulus gewesen bist und ich nicht denken kann, daß Du Dich solltest in einen Saulus verkehrt haben, obwohl ich denn doch nicht begreife, weshalb Du mich so ganz und gar ohne Antwort gelassen hast. Ich denke mir, Du warst verdrießlich darüber, daß ich Dir das Leben in Meersburg als so wohlfeil geschildert hatte und es nun, nach meinen Preisangaben, ganz anders heraus kam. Aber wie konnte ich auch vorausahnen, daß im Badenschen sollte ein vollkommenes Mißjahr gewesen sein, während bey uns zulande alles ganz gut und reichlich gewachsen war?

Du glaubst nicht, bis zu welchem Grade die Not im Winter stieg. Jeder, der nur etwas übrig hatte, ließ täglich oder wenigstens wöchentlich Brot und Speisen austeilen, damit die Armen nicht gradezu verhungerten. Das Ärgste war noch, daß keine Tagreise weit von uns alles im Überflusse geerntet, aber von Wucherern aufgekauft war und zurückgehalten wurde. So tatest Du freylich sehr wohl, nicht zu kommen, aber schreiben hättest Du mir doch können, Du garstiger Paulus!

Ich habe im übrigen ein ganz angenehmes Jahr dort verlebt. Meine Mutter war, ihr gewöhnliches Herzklopfen abgerechnet, sehr wohl, Laßberg und Jenny sehr freundlich, die Kinder äußerst nett und sehr zutunlich. Mir selbst bekam das Klima wieder ausgezeichnet gut, und ich habe mich das Jahr durch recht verwöhnt mit freiem Atmen, so es mich jetzt recht hart ankommt, wenn mir die feuchte Münsterische Luft die alten Beklemmungen tagweise wiederbringt. Doch halten die guten Nachwirkungen noch an, und ich möchte keineswegs mit meinem Zustande vor anderthalb Jahren tauschen. (…)

Wir sind auf unsrer Rückreise mit Dir zugleich auf dem Rheine gewesen. Zwischen Coblenz und Bonn, als ich Dich schon in einigen Stunden zu sehn hoffte, erzählte uns ein Passagier, daß Du am vorigen Tage mit Betty und Prof. Achterfeldt Dich ebenfalls aufs Wasser begeben hättest, und zwar zu einer ordentlichen Reise; wohin wußte er nicht, aber fort warst Du, und so segelten wir denn trübselig bey Bonn vorbey und jetzt nur grade durch bis Düsseldorf. Es kam mir doch ganz wunderlich und verkehrt vor, daß ich Dich, Betty und Braun nicht sehn sollte; ich hatte mir das ganze Jahr hindurch so hunderterlei Dinge in Gedanken zurückgelegt, um sie Euch zu erzählen, kleine seltsame oder komische Vorfälle, interessante Bekanntschaften, und meinte, ich säß schon à la Turquoise im Kanapee, Du rechts, Braun links, der lange Schlacks mir gegenüber von einem Stuhle auf den andern rutschend und die Ohren spitzend. Und nun war alles nichts, und ich mußte Bonn, das Münster, die Schiffbrücke, an mir vorüberfliegen sehn, als wenn es mich nichts anginge. …

Ist es denn wahr, daß die Mertens sich in Italien mit einem Marchese wieder verheuratet hat? Hier heißt es überall so. Das wäre ja toll! Bitte antworte mir doch hierauf, es interessiert mich doch. Und, bitte, wenn Du den Doktor Wolf siehst, frage ihn doch, ob er etwas von Adelen (Schopenhauer) weiß? ob sie noch in Jena ist? Ich bin ihr seit zwei Jahren einen Brief schuldig, möchte gern schreiben, und fürchte sie hat ihren Wohnort verändert (…) Bitte, vergiß doch beym Antworten nicht, meine Fragen mit zu beantworten, besonders die wegen der Schopenhauer, auch der Mertens.

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