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Therese von Droste-Hülshoff

Therese von Droste-Hülshoff, die Mutter der Dichterin, war eine geistreiche und gebildete Frau. Durch ihr Vorbild lernte die Tochter, dass Bildung auch Frauen zusteht. In der Ehe mit Clemens August von Droste-Hülshoff spielte sie eindeutig die dominante Rolle, während ihr Gatte ein eher zurückhaltender, in sich gekehrter Mann war. Das Familienoberhaupt war – entgegen der Familienideologie der Restaurationszeit – die Mutter, nicht der Vater. Sie führte das Regiment.

1841/42 beschrieb Annette von Droste ihre Eltern kaum verschlüsselt in der Erzählung „Bei uns zu Lande auf dem Lande“. Die Mutter, heißt es dort, sei

eine kluge, rasche, tüchtige Hausregentin, die dem Kühnsten wohl zu imponieren versteht und, was ihr zur Ehre gereicht, eine so warme, bis zur Begeisterung anerkennende Freundin des Mannes, der eigentlich keinen Willen hat als den ihrigen, dass alle Frauen, die Hosen tragen, sich wohl daran spiegeln möchten. – Es ist höchst angenehm, dieses Verhältnis zu beobachten; ohne Frage steht diese Frau geistig höher als ihr Mann, aber selten ist das Gemüt so vom Verstande hochgeachtet worden; sie verbirgt ihre Obergewalt nicht, wie schlaue Frauen wohl tun, sondern sie ehrt den Herrn wirklich aus Herzensgrunde, weiß jede klarere Seite seines Verstandes, jede festere seines Charakters mit dem Scharfsinn der Liebe aufzufassen und hält die Zügel nur, weil der Herr eben zu gut sei, um mit der schlimmen Welt auszukommen.

Therese von Droste-Hülshoff

Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass die Droste das kameradschaftliche Verhältnis ihrer Eltern schätzte, und dass eine gebildete, dem Mann geistig überlegene Frau für sie nichts Ungewöhnliches war. Von der Mutter erhielt sie den ersten Elementarunterricht; diese sorgte dafür, dass die Töchter Annette und Maria Anna (genannt Jenny) zusammen mit den jüngeren Brüdern Werner und Ferdinand von einem Hauslehrer unterrichtet wurden, sich die Bildung der Mädchen somit nicht auf das oberflächliche Wissen zukünftiger Ehefrauen beschränkte. Auch der Vater förderte den Bildungsdrang seiner Töchter, indem er sie in seine Hobbies (Ornithologie und Botanik) einbezog.

Das Verhältnis zwischen der Dichterin und ihrer Mutter war nicht unproblematisch. Therese von Droste lenkte Schloss Hülshoff samt den Bediensteten, den Kindern und dem Ehemann. Sie forderte auch von den erwachsenen Töchtern absoluten Gehorsam. Als unverheiratete Frau blieb die Dichterin zeitlebens von ihrer Mutter, mit der sie nach dem Tod des Vaters 1826 auf den Witwensitz Rüschhaus bei Münster gezogen war, abhängig. Ausgedehnte Reisen, die die lebhafte Therese von Droste immer wieder zu Verwandten unternahm, trennten zwar Mutter und Tochter oftmals; aus den Briefen lässt sich jedoch ablesen, wie allgegenwärtig die Mutter für die Schriftstellerin stets war.

In der Sekundärliteratur wird der Einfluss, den sie auf das dichterische Schaffen ihrer Tochter ausübte, unterschiedlich bewertet. Levin Schücking äußerte sich 1862 über die Mutter-Tochter-Beziehung in einer Weise, in der sich die zur Restaurationszeit verbreitete Meinung über Frauen widerspiegelte:

Die im ganzen mehr strenge als milde Erziehung hat einen doppelten Einfluß auf Annette von Droste ausgeübt, einen wohltätigen zuerst und dann einen nachteiligen. Sie hat alles unterdrückt und entfernt, was von Leidenschaftlichkeit und Exzentrizität in einem so begabten und phantasiereichen Charakter sich hätte entwickeln können und jeden jugendlichen Drang auf das Maß des edel Weiblichen zurückgeführt. Sie hat aber auch einem gewissen Unabhängigkeitsbewußtsein, welches dem Genius Bedürfnis ist, zu sehr die Flügel beschnitten […]

1887 beschrieb Hermann Hüffer die Mutter als strenge, aber liebevolle Förderin der literarischen Begabung ihrer Tochter, deren frühreifes Temperament sie positiv eingedämmt habe. Herrschsucht, Ehrgeiz und Willensstärke Thereses, so urteilte dagegen Karl Busse 1903, hätten der Droste das Schreiben nur innerhalb der von der Mutter vorgeschriebenen Grenzen erlauben wollen. Die Tochter habe sich aus Furcht nicht gegen die mütterliche Autorität gewehrt und nie um ihre Eigenständigkeit gekämpft.

Für Marga Wilfert war der Einfluss der Mutter auf die Dichtung der Droste in kultureller und literarischer Hinsicht ein fruchtbarer. Spannungen sah Wilfert dort, wo die Tochter sich gegen den mütterlichen Moralismus und gegen deren Ehrgeiz, Annette zu einer standesgemäßen Lebensführung zu drängen, zu wehren versuchte.

Helma Scheer schreibt der Mutter die entscheidende Rolle im Leben der Dichterin zu. In Therese von Droste sieht Scheer eine Wächterin, die ihrer Tochter das Überschreiten der konventionellen Grenzen verbot – erfolgreich, denn gegen die Abhängigkeit von der Mutter habe die Tochter nicht revoltiert.

In dem Kindergedicht „Versprechen“ wird deutlich, welche Bedeutung das mütterliche Wort für die Tochter gehabt haben mag:

Gewiß, ich werde mich bemühn,
Nach Gottes Wort zu wandeln
Und so, wie du und Gott befiehlst,
Stets fromm und gut zu handeln.

Schon 1802, als Annette fünf Jahre alt war, hielt es Therese von Droste für angebracht, dass ihre geistig frühreife Tochter Unterricht bekam. Die Mutter betreute auch ihre ersten literarischen Gehversuche; die frühen Gedichte der Droste gerieten dementsprechend nach dem mütterlichen Geschmack. Das erste Gedicht der sieben Jahre jungen Dichterin wurde von der Mutter sorgfältig aufbewahrt.

Die Förderung durch Therese von Droste hatte Grenzen; sie wählte die Lektüre der Tochter nach moralisch-erbaulichen Kriterien aus: Friedrich Gottlieb Klopstock, Johann Heinrich Voß und Friedrich Leopold zu Stolberg gehörten zu den Schriftstellern, die die Mutter für angemessen hielt. Das Lesen in den Werken Schillers dagegen untersagte sie ihrer Tochter. Ein einziges Mal gelang es der jungen Dichterin, dieses Verbot zu umgehen und den abgeschlossenen Bücherschrank heimlich zu öffnen.

1819/20 hatte Annette von Droste-Hülshoff mit der Arbeit an ihrem „Geistlichen Jahr“ begonnen. Ursprünglich war das Werk – geistliche Lieder, die sich rund um das Kirchenjahr drehten – als erbauliche Lektüre für die Großmutter Anna Maria von Haxthausen gedacht, die selbst religiöse Gedichte verfasste. Die Autorin bemerkte jedoch bald, dass sich ihre Verse nicht für die fromme Großmutter eigneten, da aus ihnen ein Bekenntnis des Seelenzustandes der Droste, die von Glaubenszweifeln gequält wurde, herauszulesen waren. Sie schenkte den ersten Teil des „Geistlichen Jahres“ der Mutter mit einem Brief, in dem sie erklärend auf die Problematik der Gedichte einging. Therese von Droste las das Werk und legte es kommentarlos in einen Schrank. Einige Tage später nahm die dichtende Tochter das „Geistliche Jahr“ wieder an sich und betrachtete es fortan wieder als ihr „geheimes Eigenthum“.

Stolz zeigte sich Therese von Droste über die Gelegenheitsdichtung ihrer Tochter; Annette sollte stets Gedichte zu besonderen Anlässen wie Geburts- oder Namenstagen im Familien- und Bekanntenkreis vortragen. Sobald jedoch die Gefahr bestand, dass die Lyrik ihrer Tochter über die familiären Kreise hinaus bekannt würde, zog die Mutter die „Notbremse“. Als der Münsteraner Herausgeber des poetischen Taschenbuchs „Mimigardia“, Friedrich Raßmann, im März 1809 die 12jährige Annette um literarische Beiträge bat, schritt Therese von Droste ein und untersagte ihrer Tochter jegliche Mitarbeit. Erst 41jährig trat die Dichterin erneut an ihre Mutter mit der Bitte um die Erlaubnis heran, ihre erste Gedichtausgabe bei Hüffer in Münster veröffentlichen zu dürfen.

Einige wenige Male wehrte sich die Droste gegen die Bevormundung durch ihre Mutter, die von der Wahl der Bekanntschaften bis hin zum Briefwechsel das Leben ihrer Tochter überwachte und kommentierte. Mit der Freundschaft, die sich zwischen der Droste und der Generalsgattin Wilhelmine von Thielmann entwickelt hatte, war die Mutter nicht einverstanden: Die Generalin galt als exzentrisch und hatte eine bewegte Vergangenheit. Annette von Droste gab jedoch den Kontakt zu Wilhelmine nicht auf.

Ähnlich verhielt es sich mit der Freundschaft zu der Schriftstellerin Sibylle Mertens-Schaaffhausen. Auch sie hatte den Ruf, eine sehr eigenwillige Persönlichkeit zu sein, die darüber hinaus ihren Pflichten als Frau in den Augen Thereses von Droste nur unvollkommen nachkam. Auch diese Verbindung hielt die Dichterin aufrecht; als sie sie schließlich abbrach, war dies ihre Entscheidung, nicht die der Mutter.

Hatte Therese von Droste die Herausgabe der ersten Gedichtausgabe 1838 auch zögerlich gestattet, so stand sie den weiteren Veröffentlichungsplänen ihrer Tochter grundsätzlich skeptisch gegenüber. Dennoch publizierte die Schriftstellerin im Verlauf ihres Lebens zwei Gedichtbände und zahlreiche Beiträge in Zeitschriften und Almanachen, setzte sich also in diesem zentralen Lebensbereich gegen ihre Mutter durch. Mitunter nahm die Mutter Anteil an der literarischen Tätigkeit ihrer Tochter; so gab sie Ratschläge bei den Verhandlungen mit dem Verleger Cotta. Als im „Morgenblatt“ die „Judenbuche“ erschien, zeigte sie sich stolz.

Unterschrieb die Dichterin ihre Briefe an die Mutter noch über 40jährig mit „Deine gehorsame Tochter“, so unterzeichnete diese bis ins hohe Alter mit den Worten „Deine treue Mutter“. Rita Rosen sieht hierin nicht bloß eine Floskel, sondern einen Hinweis darauf, dass Therese von Droste ihre Tochter zeitlebens als Kind ansah, das es zu behüten galt. Eine Loslösung voneinander, so beurteilt Rosen die Mutter-Tochter-Beziehung, gelang beiden nicht. Ihre Mutter war die „durchgängige Identifikationsfigur“, ein „perfektes Vorbild im Sozialisationsprozeß der Tochter“. Helma Scheer deutet eine Passage des Gedichtes „Mein Beruf“ als kritische Selbstreflexion der Tochter:

Wir leiden nach dem alten Rechte:
Daß wer sich selber macht zum Knechte,
Nicht ist der goldnen Freiheit wert. […]
Nicht würdig sind wir bessrer Tage
Denn wer nicht kämpfen mag der trage!
Dulde wer nicht zu handeln weiß.

Die Dichterin war sich der belastenden Beziehung zu ihrer Mutter bewusst; dafür spricht die Art und Weise, wie sie sie als Figur in ihren Werken verwendete. Helma Scheer ist der Meinung, die „Ressentiments, ihre Ambivalenzen gegenüber der Mutter [haben sich] in den Briefen nie, in der Prosa selten, in der Lyrik als der ihr eigensten Ausdrucksform dagegen offensichtlich durchgesetzt.“

Die Droste präsentierte sich in den Briefen an die Mutter als gehorsame Tochter, aber „in den wenigen Gedichten, die über die Mutter verfaßt wurden, wird diese nur schablonenhaft verarbeitet, es findet keine ehrliche Auseinandersetzung mit Empfindungen und Eindrücken statt.“ Als Beispiel dafür kann das Gedicht „An meine Mutter“ dienen:

So gern hätt‘ ich ein schönes Lied gemacht
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt‘ ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten wallten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

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