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Sklave der öffentlichen Meinung

(…) Ein Schriftsteller ums liebe Brot ist nicht nur Sklave der öffentlichen Meinung, sondern sogar der Mode, die ihn nach Belieben reich macht oder hungern läßt, und wer nicht gelegentlich sein Bestes und am tiefsten Gefühltes, Überzeugung, Erkenntnis, Geschmack, verleugnen kann, der mag sich nur hinlegen und sterben, und der Lorbeer über seinem Grabe wird ihn nicht wieder lebendig machen. (…)

Ich bin in diesem Sommer sehr fleißig gewesen und habe an dem „Geistlichen Jahr“ dermaßen nachgearbeitet, daß ich bey meiner Abreise mit der laufenden Zeit gleich war und dem Jahresschluß bedeutend vorzueilen hoffte. Seitdem bin ich in Rückstand gekommen, teils war ich krank, teils anderweitig verhindert, hatte allmählich auch einen babylonischen Turm von unbeantworteten Briefen aufwachsen lassen, der zwar nicht bis in die Wolken, aber doch fast über meinen Mut reichte. Mir wurde außerordentlich schwarz vor Augen! Jetzt trage ich davon ab, als gälte es das tägliche Brot und fange schon an Grund zu sehen. So denke ich bald wieder ans eigentliche Werk zu kommen und dann mit Gottes Hülfe den Zyklus vor den Silvestertagen geschlossen zu haben. Es ist ein größeres Unternehmen als ich gedacht (…)

Für spätere Arbeiten habe ich noch keine Pläne und will auch nicht daran denken, bevor diese beendigt, da es sich immer in mir gestellt hat, daß sie nur zu einer Zeit erscheinen darf, wo mein ganzes irdisches Streben mir wohl töricht erscheinen wird und dieses Buch vielleicht das einzige ist, dessen ich mich dann freue. Darum will ich auch bis ans Ende meinen ganzen Ernst darauf wenden, und es kümmert mich wenig, daß manche der Lieder weniger wohlklingend sind als die früheren. Dies ist eine Gelegenheit, wo ich der Form nicht den geringsten nützlichen Gedanken aufopfern darf. Dennoch weiß ich, daß eine schöne Form das Gemüth aufregt und empfänglich macht und nehme so viel Rücksicht darauf, als ohne Beeinträchtigung des Gegenstandes möglich ist, aber nicht mehr. (…)

Ich hoffe noch immer für Schücking Besseres, obgleich seine Kenntnisse von der am wenigstens gesuchten Art sind. Die Stelle bey Hassenpflug war bereits besetzt, als ich darum schrieb, doch ich habe andere, die nicht ohne Einfluß sind, für ihn zu interessieren gesucht, und ich glaube, es ist mir gelungen. So hoffe ich ihn am Ende doch auf einen grünen Zweig zu bringen, aber ob bald oder später? Ich werde aber nicht nachlassen. (…)

In der Cölner Zeitung stand neulich eine Rezension meiner Gedichte, die mir Schücking schickte; sie kann mich nicht eben stolz machen. es ist doch auffallend, wie der Gegenstand anhaltender Beschäftigung auf den Menschen wirkt! Vor einem Jahre würde mich dieses Blatt wahrscheinlich verstimmt haben, jetzt kam ich mir wie eine Tote vor und habe es ohne den mindestens Eindruck aus der Hand gelegt.

Ich wollte, das könnte so bleiben, aber mit dem letzten Federstriche am „Geistlichen Jahr“ wird das irdische Jahr wohl alle seine wilden Quellen wieder über mich strömen lassen. Möge mir nur der allgemeine Eindruck bleiben! Auf den partiellen rechne ich nicht, dazu ist mein Inneres noch lange nicht mürbe genug. Beten Sie für mich, daß ich nicht gar zu unreif weggenommen werde! Der heftige Blutandrang nach dem Kopfe nimmt von jahr zu Jahr mehr überhand, und ich zweifle kaum an einem plötzlichen Ende. Doch darf ich plötzlich nennen, was ich Jahre lang voraus sehe? (…)

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