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Verschweigen Sie mir nichts von dem was Ihnen daran mißfällt

Wenn Sie sähen, wie ich mich in diesem Augenblicke schäme, und noch mehr betrübe, so würden Sie, mein lieber gütiger Sprickmann, gewiß allen Unwillen aus ihrem engelgutem treuem Herzen verbannen, so reichlich ich ihn auch verdient hätte, ich sitze schon länger als eine Stunde am Schreibtische, aber immer muß ich wieder ihren letzten theuren Brief zur Hand nehmen, und kann mich gar nicht satt daran lesen, und je länger ich lese, und je klarer mir ihre Freundschaft und Nachsicht und ihr frommes liebreiches Gemüthh wird, je unbegreiflicher wird es mir, daß ich diesen so ersehnten und erflehten Brief noch nicht beantwortet habe, denn er ist schon vom 2ten April 1817 am Tage ihrer Abreise nach Berlin, ich kann Sie aber dessen versichern, daß der Grund meines Stillschweigens mir bis jetzt ganz vollgültig und billig vorgekommen ist, denn ich habe in diesem Jahre ein Gedicht in sechs Gesängen geschrieben, dem eine nicht zu wohl ausgesonnene Rittergeschichte zum Grunde liegt, das mir aber in der Ausführung ziemlich gelungen scheint, dies wollt ich Ihnen nun schicken, sobald es fertig war, konnte aber nicht sobald damit zu Stande kommen, weil ich im vorigen Jahre sehr an einem Kopfschmerz gelitten habe, der äußerst nachtheilig auf die Augen wirkte, und habe ich mich hiebey, wie die Aerzte behaupten, sehr vor Rückfällen zu hüthen, ich habe auch wirklich nie einen halben Gesang ununterbrochen schreiben können, ohne einen kleinen Anfall zu spüren; obschon die Gesänge nicht sehr lang sind, und ich im Ganzen auch nicht so sehr langsam arbeite, so hat dies kleine Werk doch so oft und lange Feyertag gehalten, daß mir beynahe das ganze Jahr darüber hingegangen ist, und je näher ich zum Ziel kam, je weniger konnte ich mich entschließen, Ihnen einen Brief ohne diese Einlage zu schicken, das ist aber alles nur ein optisches Blendwerk, wodurch meine Trägheit niederträchtiger Weise meine bessere Ueberzeugung um ihr gutes Gewissen gebracht hat, denn es mußte mir nach den ersten Gesängen schon deutlich seyn, daß das Ding in meiner damaligen Lage so schnell nicht gieng, und so hätte ich auf jeden Fall meine Brieftaube müssen fliegen lassen, und wäre dann nicht so tief in Schulden gerathen, wie ich jetzt drlnn stecke, ich kann doch am Ende nichts thun wie mich selber anklagen.

Dieser Brief ist eigentlich auch noch nicht der Rechte, sondern nur ein Vorreiter des folgenden, denn obgleich das Gedicht jetzt fertig ist, so ist es doch noch nicht abgeschrieben, und das kann auch jetzt nicht mehr geschehn, da der arme Schelm von Rekrute, der diese Zeilen überbringt, uns erst vor ein paar Stunden die Nachricht gegeben hat, daß man ihm ein schönes Tornister geschenkt, wo er dergleichen Sachen herein packen kann, und daß er übermorgen seine betrübte Gesandschaftsreise antritt, in zwey bis höchstens drittehalb Wochen denke ich aber wieder so vor meinem Schreibtische zu sitzen, und auszuwählen zwischen dem vielen vielen was ich Ihnen so gerne sagen möchte, und wovon ich Ihnen doch nur den kleinsten Theil, und noch dazu ganz unvollkommen schicken kann, In einem Monath wird also ohngefähr mein Paketchen bey Ihnen ankommen, ich muß Ihnen sagen, ich freue mich ganz kindisch auf ihre Anwort, obschon es natürlich nicht ganz ohne Furcht abläuft, denn sie sind zwar ein höchst milder, aber doch scharfsichtiger Richter, aber ich bitte achten Sie doch ja nicht auf meine Furcht, und verschweigen mir doch ja nichts von dem was Ihnen daran mißfällt, denn das war wirklich in schriftstellerischer Hinsicht das größte Uebel das Sie so einem armen Lehrlinge, wie ich bin, zu fügen könnten, so eben merke ich erst, das ich thue als wenn das Gedicht schon in ihren Händen war, da es doch erst in vier Wochen ankommen kann, das kömmt davon, wenn man immer so vorweg schreibt, ohne das Geschriebene zu überlesen, überhaubt rede ich von dem Briefwechsel zwischen Münster und Berlin als wenn ich nur den Bedienten aus unserem Hause im krummen Timpen in Ihre gegenüber liegende Wohnung schicken dürfte, aber wirklich hält sich jetzt so eine Menge Angestellter und MiLiTAiRpersonen aus Berlin in Münster auf, daß wenn man nur unter diesem Schlag Menschen ein wenig bekannt ist, die CORRESPONDENZ jeder Art nach Berlin äußerst leicht ist,

ich muß für heute aufhören, denn es ist schon sehr spät, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach, denn meine Augen fallen zu, und doch kann ich mich kaum von diesem Blatte trennen, ihr liebes Bild aber will ich mit mir nehmen, und einen freundlichen theuren Traum daraus bilden, wie wir wieder zusammen in Lohmanns Garten in der Laube sitzen, wo ich jetzt so oft vorbey fahre und sehe niemand darinn, was mir freylich noch zehnmahl lieber ist, als wenn statt dessen aus der lieben grünen Hütte ganz unbekannte oder gleichgültige Gesichter herausguckten, die mir am Ende wohl meine schönsten Bilder aus der Erinnerung stöhlen, oder doch verwirrten, so bleibt es doch immer noch ein reiner stiller Grund, auf den ich mahlen kann, was ich will, und ach, lieber Sprickmann, sie können es mir glauben, daß ich kein einzigesmahl vorbey fahre ohne den Ort zu grüßen, kein Fleck in und um Münster ruft mir Ihr theures ihr mir wirklich so innig innig liebes und verehrtes Bild so lebhaft zurück wie diese Laube, durch einen seltsamen aber glücklichen Zufall habe ich oft ein leeres Glas darinn stehen sehn, aber nie einen Menschen, und da konnte ich es mir denn nie anders denken, als daß sie so eben hinaus gegangen wären, und wenn wir von Münster kamen, und ich also zu Anfang nicht in die Laube hineinsehen konnte, da habe ich mich oft weit aus den Wagen gelehnt und mir bisweilen ernstlich eingebildet, sie könnten doch wohl hinter der grünen Wand stecken, bis ich mich mit wirklichem Erschrecken getäuscht sah, ich habe dieses, besonders in vorigen Jahren wo ich in einem sehr gereizten Zustande war, wohl ordentlich ins Lächerliche getrieben, und bin auch bisweilen ein bischen ausgelacht worden, –

gute Nacht, mein Sprickmann, wenn der junge Mensch morgen nicht zu früh abreißt so schreibe ich noch voran, sonst leben sie wohl und tausend tausend Liebes an ihre Frau

Der Rekrute ist zwar noch nicht da, aber er wird wohl sogleich kommen, deshalb mag ich nichts ordentliches anfangen zu schreiben, obschon mir manches auf dem Herzen liegt was ich nur Ihnen sagen kann und mag, aber ich bin gezwungen so schnell zu schreiben, daß ich meine Gedanken kaum denken, geschweige denn klar und ordentlich mittheilen kann, ich verschiebe das alles bis auf den folgenden Brief, wo mein Herz wieder so offen vor Ihnen liegen soll, wie immer, ach! wer nimmt mich mit allen meinen Eigenschaften und Neigungen und Gedanken guten und bösen, so treu und zart auf wie Sie, wer ist so reich im Geben und so stark im Vergeben! genug, mein Freund, ich darf mich nicht zu weit gehen lassen, sonst kann ich nicht aufhören, nur noch eins, ich habe vor 4 Tagen die Frau von Aachen, im Theater gesehen, und sie hat mich einem CöNSiSTORiALrath MÖLLER vorgestellt, einem Mann, für den sein Äußeres nach meiner Ansicht auf die vortheilhafteste Weise spricht, und der sich rühmt ihr Freund zu seyn, schreiben sie mir doch über ihn, denn ich werde ihn vermuthlich noch wohl öfters treffen, ich selber habe noch kein Urtheil über ihn, da ich Ihn nur während einer einzigen Opernpause gesehn, wo zudem die {Lücke im Ms.} wie sie wissen, als eben so viel tüchtige Riegel, sich vor alle Worte und sogar Gedanken schieben, doch hat er mir viel Gutes und Freundliches gesagt, besonders von Ihnen, was mich schon sehr zu seinem Vortheile einnahm, auch ist mir seine PHISIOGNOMIE, soviel die schlechte Beleuchtung deutlich werden ließ, als fest und würdig erschienen, ich bitte nochmahls, schreiben Sie mir doch über ihn, schreiben Sie mir doch überhaubt, wenns möglich ist, noch ein paar Zeilen vor der Ankunft meines zweyten Briefs, damit ich sehe daß Sie mir nicht mehr zürnen.

Ihre Nette

Meine Mutter trägt mir auf noch ein paar Worte wegen Ueberbringer dieses, hinzuzufügen, es ist ein Kötterssohn aus unsrer nächsten Nachbarschaft, zu dem mein Vater noch obendrein Pathe ist, wenn Sie ihn in Quartier bekämen, so würden Sie gewiß weniger Last davon haben, wie von jedem Andern, und der arme Junge fühlte sich doch nicht mehr so mutterseelig allein in dem großen Berlin, oder wenn Sie etwa einmahl einen Taglöhner brauchen, er ist sehr fleißig und sehr getreu aber auch zugleich sehr blöde, wie sie ihm gleich anmerken werden, ich bitte sagen sie dies doch ihrer lieben Frau, die ich in Gedanken aufs herzlichste umarme; ich darf nicht mehr schreiben, so gern ich auch das Blatt noch benutzte,


PS Der junge Mensch ist seines Handwerks ein Maurer und Spinnradmacher.

Das Stadthaus am Krummen Timpen in Münster gehört der Familie Droste nur bis Dezember 1818. Danach mieten sie für ihre Aufenthalte in der Stadt eine Wohnung.
Unter der Feder: "Walther"

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Daß ich alter Mann auch hier noch einmal meine Hütte abbrechen und weiterziehen muss, um endlich meine letzte Ruhestätte zu finden, das wissen Sie gewiss schon. … Gesucht habe ich diese Veränderung gar nicht, und daher eben sehe ich sie als einen höheren Wink an, dem ich mit Ergebung folge. Sonst muß ich gestehen, dass ich Breslau mit schwerem Herzen verlasse.
    Breslau, 2. April 1817

  2. Ein Brief von Ihnen! Endlich, endlich, so lange nach der letzten Hoffnung doch noch ein Brief von Ihnen, meine liebe, liebe Freundin! Daß ich Ihnen das doch so ganz aus meinem Gefühle abschreiben könnte, was mir dieser Brief ist: dieses Zeugnis, dass ich doch noch lebe in Ihrem Andenken und in Ihrer Liebe! Ach, der Zweifel daran drückte mich so hart!
    Berlin, 8. Dezember 1818

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