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Vivat Elisabeth!

(…) Den 19ten. Guten Morgen, altes Lies, es ist Sonntag, und ganz heimlich unser beider Namenstag dazu. Ich glaube nicht, daß im Schlosse jemand daran denkt, aber ich habe schon im Bette daran gedacht, d. h. an Sie, mein Lies, und Ihnen, bien ou mal, ein Stück Novembermorgen-Poesie zum Frühstück gebraten. Da haben Sie die Schüssel, wie sie ist! Noch mit unabgewischtem Rande, aber gut gemeint, und jedes Wort wahr darin. Ach, ich habe mich wieder so arg nach Ihnen gesehnt, daß es ganz unausstehlich war und ich mir fast einbildete, ich sei krank und könne nicht in die Kirche gehn, förmlich bey den Ohren habe ich mich dazu nehmen müssen, und merke doch nun, daß mir eigentlich nichts fehlt als Sie.

An Elise. Am 19. November 1843

Du weißt es lange wohl, wie wert du mir,
Was sollt' ich es nicht froh und offen tragen,
Ein Lieben, das so frischer Ranken Zier
Um meinen kranken Lebensbaum geschlagen?
Und manchen Abend hab' ich nachgedacht,
In leiser Stunde träumerischem Sinnen,
Wie deinen Morgen, meine nah'nde Nacht
Das Schicksal ließ aus Einer Urne rinnen.

Zu alt zur Zwillingsschwester möchte ich
Mein Töchterchen dich nennen, meinen Sprossen,
Mir ist, als ob mein fliehend Leben sich,
Mein rinnend Blut in deine Brust ergossen.
Wo flammt im Herzen mir ein Opferherd,
Daß nicht der deine loderte daneben,
Von gleichen Landes lieber Luft genährt,
Von gleicher Freunde frommem Kreis umgeben?

Und heut, am Sankt Elisabethentag,
Vereinend uns mit gleichen Namens Banden,
Schlug ich bedächtig im Kalender nach,
Welch' Heilige am Taufborn uns gestanden;
Da fand ich eine königliche Frau,
Die ihre milde Segenshand gebreitet,
Und eine Patriarchin, ernst und grau,
Nur wert um den, des Wege sie bereitet.
 
Fast war es mir, als ob dies Doppelbild
Mit strengem Mahnen strebe uns zu trennen,
Als woll' es dir die Fürstin zart und mild,
Mir nur die ernste Hüterin vergönnen;
Doch - lächle nicht - ich hab' mich abgekehrt,
Bin fast verschämt zur Seite dir getreten;
Nun wähle, Lieb, und die du dir beschert,
Zu der will ich, als meiner Heil'gen beten. 

20ten. So weit war ich gestern, als vor meiner Tür ein wunderliches Getöse ausbrach, ein heilloses Katzenkonzert von falschen Stimmen, verdorbenen Maultrommeln, und ich glaube auch ein paar Topfdeckeln. Vivat Elisabeth! Wir haben tüchtig gelacht, und ich bin sehr hübsch beschenkt worden, Mineralien, griechische Silbermünzen, ein Dampfboot als Schreibzeug, zwei Mundtassen, ein geschliffenes Glas. Aber mit dem Schreiben war’s vorbey, ich mußte meine besten Lümpchen anlegen und mich droben fast krank essen in Kuchen und duselig trinken in Gesundheiten. Wenn sie den Leuten so gut bekommen wie sie mir schlecht geschmeckt haben, so wird’s heuer einige Methusaleme geben.

Ich wollte eben auch die Ihrige ausbringen, als Laßberg rief: „Silentium! Unsre liebe Freundin, die sehr werte Frau Elisabeth Rüdiger, geborne von Hohenhausen, vivat hoch!“ Sie glauben nicht, welch enormen Klotz von Steine Sie hier im Brette haben. Solange man Sie auf der Reise vermuten mußte, ist den ganzen Tag nach dem Wetter geguckt worden, und ihre Epistel hatte ich noch nicht halb durchlesen, als die Kinder schon an der Tür klinkten: Vater, Mutter und Grosmutter ließen mich bitten, ich möchte doch kommen, mit dem Briefe von der Urgroßtante. Unter dem Vorlesen sagte Laßberg bey jeder interessanten Bekanntschaft oder guten Aufnahme „Recht so! recht so! so muß es sein!“, und Jenny lächelte so vergnügt, als wäre es ihr selbst geschehn. Aber Sie, Lumpus, haben meine Mama gar nicht grüßen lassen. Ich glaube nicht, daß es in dem Durcheinander von Vorlesungen bemerkt worden ist, denn jeder gab sein Anteil zum besten, aber das nächste Mal denken Sie doch daran. (…)

Sie kehren reich an den freundlichsten und ehrenvollsten Erinnerungen zurück, die Ihnen geringstenfalls manchen Moment erheitern und vielleicht als Anknüpfungspunkte dereinst noch dauernd angenehm und nützlich werden können. Ich kann nicht sagen, wie es mich freut, Ihnen zu der Reise zugeredet zu haben!

Laßberg und Jenny lassen Sie aufs Herzlichste zur Wiederholung derselben einladen, und je länger Sie bleiben können, je lieber wird es ihnen sein. Was meinen Sie zum nächsten Sommer, wo wir im Juni oder anfangs Juli zurückreisen? Es wäre sehr lieb und schön, und hier schien es Ihnen auch plausibel, aber Zeit und Ort ändern die Ansichten leider zuweilen. … Hier gibt’s auch manches neue Gesicht und mitunter grundgelehrte, aber nicht eins darunter wo ich die Feder um ansetzen möchte, und selbst die Namen dieser lateinischen und Nibelungen-Steckenreiter würden Ihnen fremd sein.

Pearsals wollen seit vier Wochen täglich kommen, und ich soll dann einen wunderherrlichen Kontra-Alt hören (die Tochter, Philippa); hierauf bin ich anfangs sehr neugierig gewesen, aber es währt mir zu lange, ich habe mich müde gewartet. (…)

Annette von Droste heißt eigentlich Anna Elisabeth, genauer: Anna Elisabeth Franzisca Adolphine Wilhelmine Louise Maria von Droste-Hülshoff. Von kleinauf wird sie - man kann es verstehen - Annette gerufen.
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