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„Hübsche Sächelchen“? Das ist zu arg!

Schon seit anderthalb Monathen ist ihr liebereicher herzlicher Brief in meinen Händen, mein verehrter lieber lieber Freund, und erst heute antworte ich, da ich doch nichts anderes Wichtiges in der Zeit zu thun hatte, und mich gottlob, im Ganzen immer sehr wohl befunden habe, sollte man das nicht unter die Räthsel zählen? —

Ach, mein Sprickmann, es ist mir sauer genug geworden, meine Grille mit dem Namenstage durchzusetzen, das heißt, bey mir selbst durchzusetzen, (die keinen Bogen unbeschriebenes Papier sehen konnte, ohne die peinlichste Ungeduld und Sehnsucht, und keine Feder ohne ein magnetisches Zucken in den Fingern zu fühlen) denn den Uebrigen, und besonders meiner lieben Abschreiberinn, der Jenny, war es eben recht, und diese ist auch eben schuld daran, daß ich meinen Plan nicht zehnmahl umgestoßen, und Ihnen das Gedicht je eher je lieber geschickt habe, denn es hat sich diese Zeit über so viel für sie zu thun gefunden, daß sie die Abschrift nicht eher hat vollenden können, ich wollte es Ihnen zwar selber abschreiben, und hatte schon zwey Gesänge fertig, aber das wollte meine Mutter nicht zugeben, da ich diesen Winter bisweilen an einer Augenentzündung litt, die durch das Schreiben, ein klein unmerklich wenig schlimmer geworden war, ich versichere Sie, es war garnicht der Mühe werth, und ich war zudem am vorigen Tage in den Wind gegangen, davon kam es recht eigentlich, ich hätte es Ihnen so sehr gern selbst abgeschrieben, wenn es nun nur auf dem rechten Tage ankommt, das wäre doch noch ein Trost, aber ich fürchte es kömmt zu spät.

Nun bitte ich sie noch einmahl, recht von Herzen, lieber Sprickmann, schreiben Sie mir doch recht deutlich und aufrichtig über das kleine Werk[1]gemeint ist das Versepos “Walther“, nicht allein über offenbare Fehler, sondern was Ihnen nur immer unbehaglich daran auffällt, und noch verbessernswerth scheint, ich habe zwar schon soviel darüber reden hören, und jeder klug seyn wollende, sitzt zu Gericht (denn meine Mutter, die das erste EXEMPLAR bekommen hat, wie sie aus der Zueignung sehen, ließt es zuweilen zu meinem großen Leide, ihren Bekannten vor, und sehr oft Menschen, von denen ich voraus weiß, daß sie nicht viel Ungeschicktes darüber sagen werden,) und hat ein neues Lob und einen neuen Tadel dafür, und ich weiß oft nicht, worüber ich mich am meisten ärgere.

Was das Lob anbelangt, so habe ich schon recht an mich halten müssen, um manche unbedeutende und eben passable Stellen nicht auszustreichen, die mir durch unpassendes Lob ganz und gar zuwider geworden sind, so kam Z.B. ein gewißer Herr, dem mein Gedicht auch nicht durch mich zur Beurtheilung vorgelegt worden war, immer darauf zurück, die schönste Stelle im ganzen Gedicht sey (2ten Gesang 3te Strophe 3te Zeile) »Es rauscht der Speer, es stampfte wild das Roß« und erst durch sein vieles Reden, wurde mir offenbar, wie dieser Ausdruck so gewöhnlich und oft gebraucht, und beynahe die schlechteste Stelle im ganzen Buche ist, dieser Herr hörte auch gar nicht davon auf sondern sagte während des Tages mehrmahl, wie in Entzückung verlohren »Es rauscht der Speer, es ET CET.« wozu er auch wohl leise mit dem Fuße stampfte, ich mußte endlich aus dem Zimmer gehn.

Wie ich vor einer Woche in Münster bin, begegnet mir der Unglücksvogel auf der Straße, hält mich sogleich an, und sagt sehr freundlich »Nun, Fräulein Nettchen, wie gehts? was macht die Muse? giebt sie Ihnen noch bisweilen so hübsche Sächelchen in die Gedanken, wie das Gedichtchen von neulich? ja, das muß ich Ihnen sagen, das ist ’n niedlich Ding, was für ne Kraft bisweilen »Es rauscht der Speer, es stampfte wild das Roß« ich machte mich so bald wie möglich los, und lachte ganz unmäßig, ich hätte aber eben so gut weinen können, sehn Sie, mein Freund, und so gehts mir oft, von der ändern Seite, würde ich mir wenig daraus machen, mein Gedicht oft auf die albernste und verkehrteste Weise tadeln zu hören wenn ich nicht dabey gezwungen war, zu thun, als ob ich ihre Bemerkungen ganz richtig fände, ein freundliches Gesicht zu machen, und ihnen vielleicht noch für ihre Aufrichtigkeit danken, aber wenn ich oft Stellen, von denen ich überzeugt bin, daß sie zu den Bessern gehören als dunkel, unverständlich ET CET schelten höre und dagegen von schlechteren und seichtesten, eben weil nur jeder gut, und klug genug ist, um sie ganz zu verstehn und empfinden, loben höre, und soll alsdann noch die oben benannten freundlichen Grimassen dazu schneiden, das ist zu arg, und mit Stillschweigen oder einer Verbeugung kann ich es nicht abmachen, dann bin ich hochmüthig, (daß die ungeschickten Lober und Tadler die nämlichen Personen sind, versteht sich von selbst, nur einige wenige genügsame Seelen halten sich ausschließlich zu den Erstem) nur zwey oder dreymahl bin ich zu meiner Freude mit einem bloßen »recht schön« abgefertigt worden, sonst ist jedesmahl, wenn ich das Gedicht in die Stube schicke (denn ich hebe es selbst auf, obschon es meiner Mutter gehört, und bin also gezwungen, mein liebes Kind jedesmahl selbst in die Hände seiner Feinde zu liefern) so gut, als ob ich auf ein Dutzend Kritiken PRÄNUMERIRTE[2]pränumerieren: vorausbezahlen, denn fast niemand kann der Versuchung widerstehn, sich durch irgend eine Verbesserung als einen denkenden feinen Kopf zu charakterisiren.

Mein lieber geliebter Freund, ich weiß, daß ich Ihnen dies alles schreiben kann, ohne daß Sie deshalb auf den Argwohn gerathen, als könne ich keinen Tadel vertragen, Sie wissen, wie sehr nachsichtig ich sonst hierin war, fast zu nachsichtig, denn aller und jeder Tadel war mir lieb, wenn auch von den albernsten Menschen, ich hatte den Grundsatz, daß ein fremdes Auge immer und jedesmahl schärfer sehe, wie Eins, was durch Eigenliebe bestochen, und durch das öftere Ueberdenken und Ueberlesen des Geschriebenen, gegen die Härten und Unrichtigkeiten darin gleichsam abgestumpft worden wäre, und nicht selten opferte ich meine bessere Ueberzeugung, noch jetzt ist mir ein vernünftiger wohlmeinender Tadel sehr werth, aber auch nur der, von meinem Sprickmann, z.b. würde es mich sehr sehr kränken, wenn er mir einen seiner Gedanken über meine Arbeit verschwieg oder bemäntelte, ach, Sie wissen nicht, mein Freund, wie süß und lieb mir jedes ihrer Worte ist, ich könnte, und möchte mich Ihrem Urtheil blindlings unterwerfen, und würde es für die größte Grausamkeit halten, wenn Sie mich aus übergroßer Güte verleiteten, etwas stehn zu lassen, was Ihnen mißfiel, und mich nachher gereute, sonderbar ist es, daß selbst von denen, deren Urtheil ich selber wünschte und mir ausbath, keiner dem andern gleich geurtheilt hat, ich will Ihnen einige Proben davon hersetzen, damit Sie mich darüber berichtigen können, wenn Sie so gut seyn wollen.

Einer sagte z. B. »der erste Gesang sey zu gedehnt« Ein anderer »Der erste Gesang habe viel Aehnlichkeit mit den Templern von Werner« (das kann seyn, aber ich bin unschuldig daran, ich kenne die Templer nicht) wieder ein Andrer »der zweyte Gesang sey zu duftig und zauberisch, und habe durchaus das Gediegene der Uebrigen nicht« (Ich muß Ihnen auch sagen; daß Anfangs, im zweyten Gesänge, der alte Ritter sich selber vergiftet nachdem er seinen Pflichten durch Versorgung seiner Tochter glaubt genug gethan zu haben, meine Mutter fand das anstößig, ich mußte also zwey Strophen herausnehmen, und zwey andere dafür einflicken, ich will Ihnen jedoch die beiden ausgesetzten Kinder copiren, und über die eingeflickten Strophen stecken, dann schreiben Sie mir wohl, ob Ihnen das Alte oder das Neue besser gefällt)

Ein Anderer sagte »wenn der Alte sich vergifte, so könne er nicht feyerlich begraben werden, wenigstens in damaligen Zeiten nicht« wieder ein Andrer »der dritte Gesang treibe sich zuviel in den Jagdgeschichten herum« wieder »der Alte im dritten Gesang (Vater der Alba) sey zu phantastisch gerathen«

Ueber die drey letzten Gesänge ist mir weniger gesagt worden, diese trifft gewöhnlich nur ein Tadel mit, der das Ganze trifft, z.B. die Uebergänge seyen zu grell, es scheine als habe ich mich zu sehr in ein Bild vertieft, nicht davon loskommen können, und deshalb oft plötzlich abgebrochen« et cet

Dies sind ohngefähr die Urtheile, die ich von vernünftigen Leuten habe zu hören bekommen, ist es aber nicht sonderbar, daß ein Jeder nur Eins von allem Diesen gesagt hat, und wenn ich Ihm die übrigen Urtheile vorlegte, keins davon begreifen konnte und wollte, und es waren doch Alle fünf denkende geschmackvolle Leute, daß ich von diesen Urtheilen, das Eine mehr das Andere weniger richtig finde, versteht sich von selbst, aber ich möchte Ihnen nicht gern vorgreifen, und verlasse mich auf Ihr Gefühl weit mehr wie auf das Meinige, da ich doch noch immer der Meinung bin, daß man sich an seinen eigenen Werken endlich dumm ließt und corrigirt so, daß man nicht mehr schwarz und weiß untereinander kennt. (…)

References
1 gemeint ist das Versepos “Walther“
2 pränumerieren: vorausbezahlen
Unter der Feder: "Walther"

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Dass ich diese schöne liebliche Frucht Ihrer Muse gleich mit wahrer Gier verschlungen habe, das wissen Sie schon von selbst ohne dass ich es sage; aber ich will Ihnen auch recht vieles darüber sagen, und so aus dem Herzen sagen, wie es darin liegt, und sich das durch wiederholtes Lesen entwickeln, und mir selbst deutlich machen wird; aber das kann ich nun gerade in diesen Tagen nicht. Ich habe den traurigen Februar fast ganz und ohne Ausnahme in dumpfer verschlossener Stubenluft verlebt – eigentlich nur vegetiert. Alle Saiten meines Geistes sind abgespannt und verstimmt; aber der März wird uns ja nun wohl bald die schönen Frühlingstage, die der Januar dieses einzigseltenen Jahrs uns noch gab, wieder bringen; dann nehme ich Ihren armen Walther mit mir in das erste labende Luftbad, und spreche dann mit Ihnen über Ihren inhaltreichen Brief.
    Berlin, 1. März 1819

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