Site Overlay

Die Glorien ziehen an meinem Thurme vorüber

(…) Ich wohne hier sehr angenehm, nach meinem Wunsche wiederum in einem der Thürme, aber dieses mal durch einen gedeckten Säulengang mit dem Schlosse verbunden, mein Quartier ist ungemein hell und freundlich, und hat die Aussicht über den ganzen See. Ich komme auch selten heraus, außer zum Mittag- und Abendessen, Jenny und die Kinder aber oft zu mir.

Auf meine Gesundheit wirkt das Clima bereits sehr gut, meine Kopf- und Magenschmerzen sind verschwunden, nur mit dem Gehen sieht es noch pauvre aus, und dann habe ich seit meiner Ankunft einen argen Husten, wohl durch eigne Schuld, von wegen der Cabriölchen[1]Kabriolett: einspännige Kutsche mit nur zwei Rädern-Fahrt, im Staubregen und ohne Verdeck. So soll ich denn doch durchaus beym Apotheker in die Kost, und ein, wie man sagt, sehr berühmter Arzt des nur zwey Stunden entlegenen Bades Ueberlingen ist bereits hieher beschieden. Morgen oder Uebermorgen erwarten wir ihn. Was wird mein Homöopath sagen!

Wir haben hier eine köstliche Weinerndte gehabt, doch habe ich bedeutenden Schaden erlitten – wir müssen uns nämlich, in Ermanglung einer eigenen Kelter, der Stadtkeltern bedienen, wo man nur nach gezogenen Nummern zugelassen wird; da habe ich dann eine der letzten Nummern gezogen, was den rothen Trauben nicht schadete, die weißen aber waren schon vor drei Wochen überreif. So sind mir denn, bey dem letzten Regenwetter,(nach dem Ausspruche Sachverständiger) mindestens sieben Ohm weißen Weins total verregnet, und die sechs noch gewonnenen sind auch zumeist aus verdorbenen Trauben gepreßt, und unter aller Kritik. Dagegen habe ich sechzehn Ohm rothen geerndtet, der sich darf sehn lassen, und in der Weinprobe neunzig Grad zieht. So werde ich doch in diesem Jahre trotz meines Schadens weit mehr lösen, als mich der Ankauf des ganzen Gütchens, Haus, Weinberg und Garten gekostet hat.

Wir sind hier von Besuchen überschwemmt, zumeist Gelehrte, die sich, bey Laßbergs hohem Alter, beeilen, noch von seiner Bibliothek zu profitieren. Ich bekomme davon nur zu sehen, was zu Tische oder über Nacht bleibt, alle andern Glorien ziehen an meinem Thurme vorüber, ohne sich mir durch ihren Abglanz zu verrathen. NB. Es wird dich meinetwegen doch freuen zu hören, daß Laßberg, Gott weiß durch welchen Impuls, meine Freundinn, die Salm, jetzt ebensosehr in Affektion[2]Affektion: Wohlwollen genommen hat als sie ihm früher fatal war; er läßt Alles liegen und stehn, wenn sie kömmt, und nimmt sie dermaßen in Beschlag, daß ein anderer kaum mit ihr zu Worte kommen kann. Du kannst denken wie froh ich darüber bin, jede Woche ein Tag des Verdrusses und der Peinlichkeit war mir eine gräuliche Aussicht!

Nun, liebstes Päulchen, bitte ich Dich, unserm Freunde Braun nebst meinen herzlichsten Grüßen doch zu sagen, daß, falls die Mertensche Auktion noch nicht Statt gefunden habe, ich doch für das bewuste kleine Büchelchen wohl bedeutend mehr geben möchte als zwei Thaler, – d. h. wenn es es werth ist, weshalb ich den Herrn Professor bitte es vorher anzusehn. Meine allmählich etwas unklar gewordenen Erinnerungen datiren von anno 25, wo ich freylich noch blutwenig gesehn hatte und leicht Etwas überschätzen mochte, aber in meinen Gedanken steht es wunderniedlich da, und ich habe es mir so oft gewünscht, daß ich es nun ungern möchte fahren lassen. Findet der Professor es wirklich preiswürdig, so will ich wohl vier, auch wohl fünf Thaler geben – oder auch darüber, soweit es preiswürdig gefunden wird — nur nicht etwa 12 oder 14 Thaler, denn mich dünkt, so viel kann es doch nicht werth sein; und zudem muß ich in diesem Jahre sehr mit meinem Geldbeutel Rath nehmen, da der Ertrag des Weinbergs, wie Du weißt, mich um keinen Heller reicher macht.

Und nun, liebstes Herz, adieu – nochmals 1000 Dank für alle Liebe und Freundlichkeit, die ich in Deinem Hause genossen habe, Mama, Jenny, Laßberg grüßen aufs Herzlichste; und die beiden Letzteren wünschen nichts mehr als Euch Lieben einmahl auf längere Zeit bewirten zu können, welche Freude Ihr Ihnen, bey der projektirten italiänischen Reise, ja auch leicht machen könnt. Komm ja! liebes Herz! Ich bin dann noch hier und profitire auch noch von dem lieben Besuche mit.

References
1 Kabriolett: einspännige Kutsche mit nur zwei Rädern
2 Affektion: Wohlwollen
Bei Pauline von Droste-Hülshoff, der Frau eines Cousins, hatte Annette in Bonn einen zweiwöchigen Zwischenstopp auf ihrer Reise an den Bodensee gemacht.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Herr Hohbach ist noch immer nicht fertig mit dem Ordnen der Bibliothek, doch ist es eigentlich nicht seine Schuld, sondern Laßbergs, der ihm auch gar nicht zurecht hilft, du kennst das von Schückings Zeiten her, nun ist es mir aber verdrießlich, dass er in deinem Turm sitzt, er wäre gern heraus, denn eigentlich graut ihm davor, aber Laßberg meint, du würdest lieber hier im Hause auf deinem früheren Zimmer wohnen, ist dies aber nicht der Fall, so schreibe in deinem nächsten Brief darüber und sage, ob es denn nicht einzurichten sei, dass du wieder in dem Turm wohnen könntest?
    Meersburg, 24. Mai 1846

  2. Nette … hat die Reise von Bonn bis hier ganz allein gemacht, und zum Bewundern gut überstanden … ich wollte ihr Marie bis Freiburg entgegenschicken, aber während wir ihren Brief erwarteten, kam sie selbst heran; ziemlich wohl, und nicht einmal sehr ermüdet.
    An Sophie von Haxthausen, 19. Oktober 1846

Copyright © 2024 Nach 100 Jahren. All Rights Reserved. |  by John Doe