Was denken Sie? liebe Lotte, daß ich mich wie ein Dieb in der Nacht aus Cassel gemacht habe, ohne Ihnen zuvor Ihr Eigenthum wieder zuzustellen? Es war mir bey dem Tumult der Abreise ganz aus dem Gedächtniß gekommen, und erst, wie ich schon weit vor dem Thore hinaus war, und mich noch einmahl zum Abschiede nach dem hellen schönen Cassel umsah, worüber aber jetzt die Morgennebel wie ein Wittwenschleyer lagen, vermuthlich zur Trauer über unsre Abreise, fielen mir meine Sünden aufs Herz, und hätte ich nicht ein festes Vertrauen auf Ihre Güte, so hätte ich mich wohl leicht vor den nachsetzenden Häschern fürchten können, zum Glück entsann ich mich, daß Sie ja noch ein ähnliches Kleinod von mir zum Unterpfand haben, Da wir aber morgen in aller Frühe abreisen, so mag ich weder bey Ihnen, noch hier zu Lande einen bösen Ruf hinterlassen, und war es mir unlieb, wenn man in Zukunft neben meinem berühmten Namen setzte „mit dem Zunamen, die diebische“ oder „unordentliche“ deshalb sende ich Ihnen mit großem Dank Ihr Eigenthum zurück.
Liebe Lotte, ich habe recht viel an Sie gedacht und alle Tage gehofft, Ihr Bruder der Mahler, würde noch herüber kommen, und mir ein freundliches Wort von Ihnen bringen, bis auf die letzten, wo freylich alle Hoffnung zu Wasser regnete. Ich hatte mir in und außer Cassel, und auf dem Wege alles recht genau angesehen, und fest vorgenommen, gleich bey meiner Ankunft in Bökendorf, es haarklein niederzuschreiben, das gieng nun nicht sogleich an, und so ist mir schon mancher kleine Umstand undeutlich geworden, und die Folgereihe mitunter verwirrt; die alte Trendelburg, Z.B., die ich mit großer Vorliebe, noch weit schöner fand, wie meine Reisegefährten, glaubte ich so getreu im Gedächtniß zu bewahren, und wäre doch jetzt übel dran, wenn ich sie aus dem Kopfe abzeichnen sollte, falls mir auch dies angenehme Talent gegeben war.
Nun komme ich nicht eher zum Schreiben bis ich zu Hülshoff auf meiner Stube sitze, und wer weis, was mir bis dahin noch verlorengeht, so wird mir die Freude wohl großentheils zunichte, welche ich mir draus dachte, durch diesen Schattenriß, mir in Zukunft bisweilen einen Nachsommer der schönen warmen Casselschen Reise zu schaffen, nur die lieben Stunden in Ihrem Hause, sind mir noch wie heute, und ist mir in Hinsicht ihrer vor keiner Irrung bange. Vergessen Sie nur ja Ihr Versprechen nicht, uns im künftigen Frühling mit Ihrem ältesten Herrn Bruder zu besuchen, ich fürchte, Sie vergessen die ganze Reise, und uns zur Gesellschaft mit, man sollte bey solchen Versprechungen billig immer daneben stehn bis sie vollzogen würden, das möchte aber hiebey doch etwas zu lange währen, und müßte ich fürchten, daß Sie dem überlästigem Gaste endlich den Stuhl vor die Thür setzten, oder wenigstens auf den Altan hinaus, was wegen der schönen Aussicht freylich noch das Bessere wäre
Ich muß schließen, liebste Lotte, denn ich muß noch einpacken, und wir erwarten zudem jeden Augenblick Besuch, wo dann weder an Schreiben noch Packen mehr zu denken ist, grüßen sie mir ja alle die Ihrigen, aufs schönste, Ihren ältesten Bruder, der mir die hübschen Bilder geschenkt hat, wofür ich Ihm nochmahls danke, Ihren zweyten Bruder, den ich schon früher kannte, Ihren Bruder den Mahler, und jenen Bruder der uns beym Abschiede hinausleuchtete, auch das Fräulein Hassenpflug vergessen Sie ja nicht zu grüßen von
Ihrer Nette Droste-Hülshoff