Wie froh bin ich, Dir mal wieder selbst schreiben zu können, mein lieb Mütterchen, und zwar nur Gutes. Wir sind zwar alle krank gewesen, aber auch alle glücklich entwischt. Mit Laßberg hielt es etwas lange an, sein Winterhusten hatte sich ungewöhnlich stark eingestellt, weil er im vorigen Sommer die Badekur versäumt, und nun kam die Grippe dazu und zog sich so in die Länge, daß er am Ende recht schwach dabey wurde. Seit 14 Tagen ist aber alles vorüber, und seine Kräfte nehmen noch rascher zu als sie abgenommen, so daß ich ihn jeden Tag wenigstens um ein halbes Jahr jünger geworden finde.
Jenny, die Kinder, Tony, Hohbach, Obsers Annchen, alle die Grippe! Von den Kindern Gundel am stärksten, doch haben sich beide nachher sehr schnell erholt, Jenny hat sich zehn Tage im Bette und dann noch etwa acht Tage im Zimmer halten müssen, war eigentlich nicht viel krank, sondern mehr herunter vor Sorge um Laßberg und die Kinder und vor Mangel an Nachtruhe; wie das aufhörte, war sie auch bald wieder besser und ist jetzt gottlob ganz wieder die Alte, an Aussehen und Kräften.
Kurz, liebste Mama, Du brauchst Dich gar nicht zu ängstigen, um keinen von uns! Denn mit mir geht es auch viel besser; geht sollte ich zwar eigentlich nicht sagen, denn das Gehen ist noch immer der Stein des Anstoßes und wird es auch wohl bleiben, aber in allem Übrigen kann ich Gott nicht genug danken, wenn ich an meinen Zustand im vorigen Jahre um diese Zeit denke.
Liebe Mama, so eben schneidet mir Jenny mehr als die Hälfte von meinem Blatte weg. „Ich solle nicht so viel schreiben, sie könne es sonst nicht gut einlegen, und der Brief müsse auch fort.“ Unsre Geschichte mit Zeerleder muß ich Dir aber doch noch erzählen; er war Sonderbündler, wurde in Luzern gefangen, nach etwa dreiwöchentlichem Gefängnis von der Militärbehörde (General Dufour) entlassen, mit der Warnung, sich sogleich aus der Schweiz fortzumachen, weil wahrscheinlich von Bern aus ihm eine viel schlimmere Anklage auf Landesverräterei und Spionerie (weil er gegen seinen eignen Kanton gefochten und heimliche Nachrichten zum Nutzen des Sonderbundes von dort eingezogen) bevorstehe. So kam es dann auch, er war aber zum Glück schon außer Landes. Wo? wusste niemand, bis er mit einem Male vor etwa vier Wochen hier bey uns eintraf. Laßberg empfing ihn sehr herzlich, und jedermann hielt ihn für sicher wie in Abrahams Schoße. Denke Dir also die Verstörung, als vor Tagen, wie schon alles im Bette war, zwei Herrn von unserm eigenen Gerichte, den Spiegel und ein paar Gendarmen hinter sich, Einlass verlangten und den Zeerleder in unserm Hause arretierten.
Laßberg erfuhr nichts davon, Jenny aber, die zufällig noch auf war, redete mit den beiden Herren, wo dann herauskam, daß seit lange ein Konkordat zwischen Baden und der Schweiz besteht, wonach sie sich gegenseitig Kriminalverbrecher und Landesverräter ausliefern, doch geschieht die Auslieferung nicht eher, bis von der andern Seite bewiesen ist, daß der Verhaftete wirklich zu jener Klasse gehört.
Da saß nun der arme Zeerleder im neuen Schlosse, im Bürgergefängnisse, und blies 14 Tage lang Trübsal. Laßberg ließ ihn mit allem Nötigen, Betten, Speise, Bücher et cet. versorgen und schrieb sogleich an den Markgrafen Wilhelm. Täglich besuchte ihn einer von uns. Wenn es regnete und schneite, Hohbach, bey besserem Wetter, Jenny, und bey gutem Sonnenschein habe ich mich auch ein paarmahl vom Obser im Kinderwagen hinfahren lassen, obschon ich wohl hätte so weit gehn können, aber nicht ohne nasse Füße, da der Schnee zu hoch lag und zu stark am Auftauen war. Vorgestern ist nun endlich unser Verbrecher entlassen, auf den Grund mangelnder Beweise des Hochverrats.
Der Markgraf war so freundlich, Laßbergen schon einige Tage zuvor in einem wirklich herzlichen Briefe das günstige Unheil mitzuteilen. Zeerleder könnte nun nichts Klügeres tun, als sich fortmachen in’s Österreichische, da ja noch neue Klagepunkte in Menge bereit sind; aber er ist sorglos und ungeschickt wie ein Kind von sieben Jahren, versteht weder feine noch grobe Winke, und es würde mich gar nicht überraschen, wenn sie ihn hier zum zweiten Mahl packten. Er hat sich auch durch nichts bewegen lassen, seine Papiere und wertvollen Sachen aus Steinegg wegzuschaffen, und nun erfahre ich soeben, daß gestern alles mit Sequester belegt ist.
Nun adieu, liebste Mama, 1000 Liebes an alle, ich möchte so gern jeden einzeln nennen und für jeden einzeln ein paar Worte schreiben, aber man läßt mir ja weder Papier noch Zeit. Alte Sophie, August, Ludowine, Euch muß ich doch noch besonders grüßen, adieu, liebe Herzensmama,
Deine gehorsame Tochter Nette.
Brief an Nette vom guten Zerleder aus Bern, wo er gefangen sitzt.
Tagebuch vom 8. Dezember 1847
Brief von Zerleder an Nette. Er ist wieder frei.
Tagebuch vom 16. Dezember 1847
Alles noch krank.
Tagebuch, 1. Februar 1848
Abends spät hatten wir großen Schrecken. Der arme Zeerleder wurde auf Ansuchen der Berner Regierung vom hiesigen Amt arrettiert und zum Spiegel in Verwahrung gebracht.
Tagebuch,11. Februar 1848
Wien ist im Aufstand: Blut ist geflossen, Fürst Metternich hat abends 7 Uhr abgedankt.
14. März 1848
Zeerleder bringt täglich abends Rapport zu Nette.
Tagebuch vom 16. März 1848
Die Unzufriedenheit mit den allgemeinen Zuständen, der Impuls der durch die Ereignisse außerhalb Österreichs gegeben wurde, hatte alle Klassen der Bevölkerung in eine gärende Bewegung versetzt, welche Petitionen hervorrief, die sie die Bewilligung von Zugeständnissen verlangten, wie sie von den Anforderungen der Zeit unzertrennlich erscheinen. Diese Petitionen wurden für die Zusammentretung der niederösterreichischen Landstände vorbereitet, welche gestern stattfand.
17. März 1848
Die Ruhe in der Stadt sowohl als in den Vorstädten ist vollkommen wiederhergestellt, die Läden welche bisher geschlossen waren, sind wieder geöffnet, selbst die Börse war heute wieder offen und alle Papiere sind gestiegen.
19. März 1848
Seit acht Tagen sind wir wieder hier, liebe beste Kinder! und zwar flüchtend hier gekommen, unterdessen will ich Euch nur gleich anfangs sagen, dass wir alle frisch und gesund, auch von den Unsrigen niemanden etwas zertrümmert oder beschädigt ist, ausgenommen Guido, dem sie in Vörden an der Vorderseite des Hauses alle Fenster eingeworfen haben, ein paar Steine sind grade neben der Wiege hingefallen, so dass Marie mit der kleinen Sophie im Keller geflüchtet ist.
Doch ich will alles in der besten Ordnung erzählen, bis zum 24. war in Bökendorf alles ruhig, man hörte zwar viel von Gewalttätigkeiten im Odenwalde und an andern Orten in der Ferne sprechen, das machte meine Schwestern Sophie und Ludowine besorgt (August war in Thinhausen) und sie baten mich, noch bei ihnen zu bleiben, was ich auch tat. Am 24. kam auf einmal das Gerücht, die Brakeler wollten Hinnenburg stürmen, wir konnten es nicht glauben, da Asseburgs mit der Stadt gar nicht im Streit lebte, die Waysen-Anstalt dort fundiert und im Winter z. B. die ärmeren Einwohner vom Hungertod gerettet hatte, ihr wisst wie wohltätig sie sind. Am 25. ging ich mit Marie nach Bellersen zur Kirche, Ludowine war auf der Brede, Sophie war etwas unwohl, und hörte die Messe im Dorfe, grade wie ich mit den Pastor in die Kirche gehe, kommt seine Schwester herangesprungen und erzählt, dass die Heinhauser in der Nacht mit Sack und Pack geflüchtet seien, sie wären mit zwei Wagen fort, und man habe gesagt, sie wollten auch die Eltern mitnehmen, das war mir nun ganz undeutbar, da Asseburg seine Burg in 23 Jahren nicht verlassen hatte, es war aber doch so, wir schickten hin, und alles war fort, anfangs hat er sich gar nicht dringeben wollen, aber Diederich hat gedroht, ihn auf den Armen im Wagen zu tragen, da hat er den endlich nachgegeben, aber du wirst sehen liebste Jenny! dies ist sein Tod, der alte Mann dauert mich unendlich, ich habe ihn den folgenden Tag in Paderborn gesehen, er war wie eine geknickte Rute.
Lass mich nun weiter erzählen, wie es uns ging, wie ich wieder zu Hause kam, wusste Sophie schon alles, erzählte mir auch zugleich, die Bökendorfer Bauern wären unterdessen auch mit Petitionen bei ihr gewesen, sie hatte natürlich nichts bewilligen können, aber versprochen, es an August zu schicken, was sie auch gleich tat, es war aber nicht möglich, dass die Antwort so bald kam, da Thinhausen drei Stunden von da ist, da wurden die Menschen nun in hohen Grad ungestüm, sind die ganze Nacht mit Trommeln, Pfeifen und Juchhehen ums Haus herum gezogen, bis sie sich 3 Uhr morgens in zwei Haufen geteilt, wovon der eine nach Abbenburg, der andere nach Vörden gezogen ist, in Abbenburg sind sie nicht gewesen, aber Borg (der den Tag nach uns in Paderborn kam) sagte uns, sie hätten in der Morgenszeit die Musik und den Lärm von Vörden her in ihren Hause gehört, und als er einen Boten dorthin geschickt, haben ihn Guido seine Haushälterin (die Nadie) geschrieben, er möge sich nur gleich aus den Staube machen, sie können auch zu ihm, auf den Hofe hätte alles getanzt, die arme Hacke und der Verwalter mit, ob sie nun auch vielen Schaden getan, wissen wir noch nicht, diejenigen, die die Scheiben eingeschlagen, sind diese nicht gewesen, das ist vor Mitternacht geschehen, denn nachdem die Partie abgezogen war, ist Guido mit Frau und Kind abgereist.
Was mich nun betrifft, so schien mir der hiesige Aufenthalt doch durchaus am sichersten, und da entschloss sich die liebe Sophie, mich zu begleiten, Ludowine machte es wie der Prophet Jeremias, und zog es vor, bei den armen verblendeten Volk zu bleiben, und da sie den Mut dazu hatte, war es allen lieb und es hat gewiss auch vieles gerettet, denn die Dörfer sind nach unser Abreise alle da gewesen, und es sind mit allen neue Vergleiche gemacht, jederman sagt uns, wir hätten von unsern eignen Leuten und nächsten Nachbarn nichts zu fürchten, was ich auch glaube, denn alle sind mir unverändert freundlich, und du weißt selbst, liebste Jenny, falsch ist der hiesige Bauer nicht, wem er nicht leiden mag, dem zeigt er’s öffentlich, in Hülshoff ist es eben so, mehrere Gutsbesitzer, gegen die man etwas hat (größtenteils Stolz und hochmütiges Betragen), sind in die Stadt gezogen und haben sich dort zur Bürgergarde einschreiben lassen, müssen auch alle Dienste mittun, und so stand (wie ich dort war) Erbdrost und Landsberg auf der Wache, jetzt sind alle, Galen, Erbdrost, Felix Landsberg etc. etc. nach Berlin zum Landtag, die Frauen bleiben in Münster, Werner ist nicht hin, er will mit der Politik nichts mehr zu schaffen haben, er sitzt ruhig zu Hause und organisiert die Bauerngarde, die hier in jeden Kirchspiel zur Bewachung des Eigentums errichtet ist, sie haben ihn zu ihren Chef erwählt.
Jetzt sind es nur die großen Vagabundenrotten, die uns das Ausland zuschickt und gegen die wir keine Hülfe haben, weil sonst alles … fort ist, die wir zu fürchten haben, aber ich hoffe der liebe Gott wird gnädig sein und diesen durchaus gesetzlosen Zustand aufhören … wir sind ja wirklich ganz in die Zeiten des Faustrechts versetzt … nur der Adel jetzt nicht der Hammer, sondern Amboss ist …
An Jenny und Annette, 4. April 1848