Meine liebste Mama!
Ich muß Dir doch auch ein klein wenig schreiben, um Dir selbst zu sagen, daß ich mich fast in jeder Beziehung sehr viel besser befinde. Wenn ich ganz still sitze und mich auch sonst nicht anstrenge, könnte ich mich jetzt mitunter, ein wenig Bewegung abgerechnet, für ganz gesund halten. Ich schlafe gut, esse mit Appetit, habe gar keine Schmerzen und komme mir auch, wenn ich still sitze, gar nicht kraftlos vor. Nur mit dem Gehen ist’s noch nicht besser, das wird sich aber hoffentlich mit dem nächsten Frühling geben. Es ist schon viel, daß mir das Äquinoktium[1]Äquinoktium: Tag- und Nachtgleiche dieses Mal nicht geschadet hat, und daß ich jetzt, beym Eingange des Winters, wohler bin als im Sommer. Aengstige Dich deshalb meinetwegen nicht, mein liebes Mütterchen, ich komme gewiß gut durch den Winter. Du weißt, wie vortrefflich sich mein Zimmer heizt, ich spüre auch gar nichts von der Wetter-Veränderung. Jenny und die Kinder sind den Tag über sehr viel bey mir, und nachts habe ich die Magd im Nebenzimmer. Kurz, ich bin sehr gut aufgehoben, und da Du weißt, wie apprehensiv[2]apprehensiv: ängstlich, besorgt ich bin, so kannst Du wohl überzeugt sein, daß mir viel besser ist, da ich es selbst eingestehe.
Sehr froh bin ich auch, daß Du in dem lieben Bökendorf bist, und noch froher, daß Du so lange dort zu bleiben denkst. Damit ist mir ein Stein vom Herzen; ich weiß Dich doch nun aufs Beste aufgehoben, und in einer Umgebung, die Dich freut und erheitert. Sage allen den lieben lieben Verwandten das Herzlichste von mir. Meine alte Sophie spricht gewiß oft mit Dir von uns.
Hier geht es eben so. Wenn Jenny und ich abends allein sind, dann sind wir allezeit entweder in Hülshoff oder bey Euch. Ich wollte, es wäre kein bloßer Aberglaube mit dem Ohrenklingeln, daß man immer wüßte, wenn man voneinander redete, das wäre wie eine halbe Korrespondenz. Gestern erhielt ich einen Brief von Werner, als Vorläufer der Kiste, die er am selben Tage der Spedition übergeben hatte. Neues stand sonst gar nichts darin, aber viel Erfreuliches über Max, wie er so fleißig sei, und sich überhaubt so gut mache. Gottlob!
Hier ist alles in großer Spannung wegen der Schweizer Angelegenheiten, selbst ich lasse mir jetzt täglich die Zeitungen bringen und lese die betreffenden (von Laßberg rot angestrichenen) Artikel. Die armen Sonderbündler! 30.000 gegen 100.000! Gottes Hülfe muß das Beste tun, und dann ihre Begeisterung und gänzliche Todesverachtung. Der arme kleine, als Grenzland und dazu völlig flaches Terrain gradezu preisgegebene Kanton Zug zählt nur 15.000 Einwohner, diese sind neulich sämtlich an einem Tage, Männer, Frauen und Kinder, in Einsiedeln gewesen, haben die Sakramente empfangen und sich alle zum Tode einsegnen lassen. So etwas geht einem doch durch Mark und Bein!
Man hört hier auch sonst so vieles von den Urkantonen, ihrer Bewaffnung und Kampfart, daß einem ist wie im Traume; von dem Urner Signalhorn (dem Stier von Uri), das eine ganze Schlacht übertönen und so fürchterlich klingen soll, daß in früheren Kriegen die feindlichen Feldherrn immer sehr den Eindruck auf ihre Truppen gefürchtet haben; von den Morgensternen (hier Fidelis-Prügel genannt, weil der h. Fidelis mit einem Streitkolben erschlagen ist), mit denen ein Teil der Schwyzer bewaffnet ist, und die sie im Handgemenge mit so großer Kraft zu brauchen wissen, daß von jedem Schlag ein Mann fällt; von den langen Flinten der Unterwaldner und Walliser Scharfschützen, die durch die Felslücken gesteckt werden und tausend Schritt weit tragen sollen. Kurz, es ist alles wie in einem fabelhaften Traume, aus dem man aber leider nicht erwachen kann. Die Jesuiten gehn überall als Feldprediger mit.
Flüchtlinge kommen im ganzen wenig, es scheint ein Grundsatz der Sonderbündler zu sein, ihre Kinder und Kranken nicht ins Ausland, sondern in die Berge zu flüchten, um desto mehr Grund zum äußersten Widerstände zu haben. Die Frauen gehen fast alle mit ihren Brüdern, Männern, Vätern, um die Verwundeten zu pflegen, und bey Hauptschlachten, hinter dem Heere aufgestellt, die Ihrigen zu ihrer Verteidigung aufs äußerste zu treiben.
Heute haben wir den Neunten, morgen sollen die Feindseligkeiten beginnen, und zwar an der Grenze von Freiburg. Gott schütze das Recht! Hier in Baden gibt’s nur eine Stimme, für den Sonderbund, und zwar von Unfrommen wie von Frommen, da die armen kleinen Kantone ebenso wohl für ihre Freyheit wie für ihren Glauben fechten und die Jesuitenfrage von den großen offenbar nur vom Zaune gebrochen ist, um bey dieser Gelegenheit die kleinen einzuschlucken.
Genug hiervon, sonst frißt die Schweiz mein ganzes Blatt auf, und Du ließt wohl alles besser in den Zeitungen. Liebe Mama, sollte es denn wohl wirklich wahr werden, daß im nächsten Sommer eins von den Onkels oder Tanten hieherkäme ? Es sind nun so viele, die uns Hoffnung gemacht haben; es wäre doch gar zu betrübt, wenn wir am Ende doch wieder ganz leer ausgiengen.
Lieber Onkel Karl, lass doch deine Dahlien einmahl ein wenig allein. Du mußt mir ja die schöne wunderliche Muschel bringen, die in Abbenburg für mich liegt, sonst weiß Gott wann ich sie bekomme, da ich gewiß noch anderthalb Jahre hier bleiben muß, denn ich soll im nächsten Sommer hier Ameisenbäder[3]Ameisenbäder: sollen bei Gicht, Rheuma und Hauterkrankungen helfen gebrauchen und darf dann nicht mit dem Winter wieder in unser Klima einrücken.
Lieber August, Ihr seid ja doch so viel auf den Rädern, Du und Tante Dine, rutscht doch auch einmahl hieher. Ach, ich wollte Ihr kämt alle, wir sehnen uns nach allen, Jenny und ich. Liebe Mama, kannst Du denn keinem von allen so gut zureden, daß er Dich hieher begleitet?
Adieu, liebstes Mütterchen, sage doch allen das Herzlichste von mir, meiner lieben alten Sophie, den Hinneburgern, Wehrenschen, Herstellern; ich kann nicht alle einzeln hinschreiben, aber ich denke an jeden einzelnen, auch in Erpernburg, Wewer, Tienhausen, Vörden, überall meine besten Grüße, Anna und meine alte Male sind ja noch wohl bey Euch. Ich wollte, ich könnte nur auf eine Viertelstunde zwischen Euch sitzen. Adieu, ich küsse Deine liebe Hand.
Deine gehorsame Tochter Nette
Nette ihr Wein wurde gepresst; es sind 10 1/2 Ohm rot und 7 1/2 Ohm weiß, und wurde eingelegt.
Tagebuch vom 4. November 1847
Zwischen Schwyzern und Zugern ist es bereits hier und da zu Schlägereien gekommen. Die Proklamation der Tagsatzung, welche die Schwyzer nicht dulden wollen, bot die Hauptveranlassung dazu dar.
7. November 1847
Die eidgen. Truppen haben jetzt sämtliche Teile Freiburgs besetzt, die von Waadtländer Gebiet umschlossen sind. Ferner sind die Waadtländer bis Bulle und Greyerz vorgerückt, ohne auf ernstlichen Widerstand zu stoßen. In den Gemeinden ertönten überall die Sturmglocken, und was sich an Landsturm sammelte, ist nach Freiburg gezogen. Alle Bezirksbeamte, Gemeindepräsidenten und Pfarrer, deren man habhaft werden konnte, sind als Geisel nach Waadt abgeführt. Freitag, den 12. November, wird der Hauptangriff auf die Stadt Freiburg erfolgen.
11. November 1847
Von der französischen Schweizergrenze, 7. Nov. Auf morgen erwartet man den wirklichen Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen der radikalen Armee und den Truppen des Sonderbundes. Der Befehl dazu ist von der Tagsatzung gegeben.
16. November 1847
Die neuesten Berichte bringen die Nachricht von der Kapitulation Freihurgs. Unser Frankfurter Korrespondent schreibt unterm 16. d.: Nach den gestrigen Berichten aus Bern und Basel konnte man heute entscheidende Nachrichten wegen des Schicksals Freiburgs erwarten. Sie trafen auch mit der Nachmittagspost ein. Freiburg von einem unverhältnismäßig starken Feinde umzingelt und der Gefahr ausgesetzt, durch einen Sturm verwüstet zu werden, kapitulierte am Vormittage des Sonntags und wurde von Zwölfertruppen besetzt.
20. November 1847
Der eine Aufsatz im Merkur über die Schweiz war mein Brief von Nette, den August [von Haxthausen] gleich an Coppenrath [Verleger des Merkur] schickte.
An Werner von Droste, 16. Dezember 1847