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Die langweilige Prozess-Sache

Ich bin erst gestern Abend von Hindenburg zurück gekommen, liebe Mama, und habe dir deshalb deinen lieben guten langen Brief nicht eher beantworten können, und gewißermaßen ist es mir jetzt lieb, da ich dir heute auf allen Fall schreiben müsste, und sonst, wenn ich erst eben geschrieben hätte, wohl nichts andres zu erzählen wüßte als die eine langweilige Prozess-Sache, die diesen Brief gradezu nothwendig macht, ich will diesen unangenehmen Punkt gleich abmachen, damit ich nachher in Ruhe von was Anderen reden kann.

Ich möchte sehr wünschen, liebe Mutter, daß Du mit Mimy über die bewußte Sache gesprochen hättest, sie ist diejenige, von der sie hauptsächlich und mit großem Starrsinn betrieben wird, und ich muß jetzt alles durch Schloshauers erfahren, in deren Munde es, wie ich glaube, bisweilen einige Veränderungen leiden muß, und doch ist es jetzt eben auf einem Punkt, wo, wie ich fürchte, wohl vieles verdorben und versäumt werden kann. Wie ich nämlich nach Hinnenburg kam, sagte mir Ludowine, welche schon dort war, daß sich Sophie Schloshauer wollte unter der Hand auszahlen und Dich im Stiche lassen, sie hätte es soeben von Frenzchen gehört, wie ich Frenzchen fragte, sagte sie mir dasselbe, nur in milderen Ausdrücken, nämlich „Spiegel habe gegen Schloshauer erklärt, es sey ihm nie in den Sinn gekommen, Sophie leer ausgehn zu lassen, er sey nur zu nichts verbunden, aber weil sie sich doch so gut gegen die selige Grosmutter betragen, wolle er ihr freiwillig dreitausend Taler geben, Dir aber gebe er auf keinen Fall das Mindeste“.

Frenzchen meinte nun, Sophie würde das annehmen, riet mir aber auch, selbst mit ihm darüber zu reden, da sie in einigen Tagen komme, wie Sophie kam, schien sie mir gleich verlegen, und so übermäßig freundlich, wie ich ihr gelegentlich sagte, ich möchte gern über etwas mit ihr reden, wurde sie rot und sagte sehr rasch „Ich kann wohl denken, über den Prozess“, worauf sie mir die Sache so schnell vortrug, daß ich anfangs nichts davon verstand, endlich kam es denn so heraus: Schloshauer war wegen des Prozesses zu Borlinghausen gewesen, dort habe Spiegel den genannten Vorschlag gemacht (sie warf dies so durcheinander, daß sie nicht eigentlich anführte, daß du nichts haben solltest, dies mißfiel mir, gegen Frenzchen hatte sie es deutlich angeführt), wie sie grade darüber geredet, sei Mimy mit Adolph hereingekommen, sie (Mimy) sey sehr aufgebracht über diesen Vorschlag geworden und habe gesagt „wenn Sophie oder Therese was bekämen, so müßte Adolph auch einen gleichen Teil haben, Spiegel habe darauf geantwortet, Nein, er und Adolph könnten nur einen Teil zusammen fordern. Mimy habe das nicht einsehn wollen und sehr gelärmt, auch Adolph, die den armen Karl jetzt überhaubt ganz unter die Füße gebracht hätten, Spiegel aber sey immer zu den dreitausend Thalern erbötig geblieben, nachher habe er, (Schloshauer) mit Rinteln (dem Advokaten für Spiegel in dieser Sache) gesprochen, dieser habe ihm geraten, das Anerbieten anzunehmen, habe Spiegel erst eine bezahlt, so müsse die andere wohl von selbst folgen“.

So weit hatte ich Sophie reden lassen, da unterbrach ich sie, solange er das Geld nicht als bewilligte Forderung, sondern bloß als Geschenk auszahle, folge das durchaus nicht, sie wurde verwirrt und sagte, Spiegel würde alsdann wohl einen Schein ausstellen, daß er das Geld bezahlt hatte, und darauf könnte man sich dann berufen, ich antwortete, das verstände ich noch nicht recht, sie müßte es mir besser auseinander setzen, sie haspelte sich ganz darin zu und sagte endlich, sie wüßte nicht recht Bescheid, sie wollte Schloshauer rufen, kam aber gleich zurück mit der Nachricht, daß Schloshauer schon fort sei, so oft ich wieder von der Sache anfing, vertröstete sie mich mit Schloshauer, wenn ich mal nach Brakel kommen wollte, —

Du siehst, liebe Mutter, wie verwirrt und widersprechend ihr Bericht war, erstlich, ist es auffallend, daß Spiegels sich in Gegenwart des Fordernden über die gleichmäßige Teilung so hitzig und in der Art zanken, als ob sie von Ihnen anerkannt wäre, 2tens ist die einzige verständliche Art, den Schluss von Sophies schöner Rede zu erklären, daß sie Spiegel vielleicht dahin bringen wollten, daß er, um allen Streit mit Sophiens etwaigen Erben zu vermeiden, sich über das sogenannte Geschenk einen Empfangsschein als bezahlten Brautschatz geben ließ, oder selbst irgend ein gerichtliches Instrument darüber ausstellte, das können sie aber wohl sagen, aber unmöglich selbst glauben, so lange Spiegel noch nicht complet simpel ist, da die Folge zu deutlich in die Augen springt, zudem sagt Frenzchen, es sey eine offenbare Lüge, womit Sophie das Gespräch beendigt habe, nicht Schloshauer, sondern sie führe den ganzen Handel, und sie habe sich bloß nicht mehr zu helfen gewußt, zudem ist Rinteln, der diese Abbezahlung der Schloshauer in Vorschlag gebracht hat, und in der ganzen Gegend für falsch gilt, Spiegels in allen Rechtssachen bedient, aber auch nebenbey für Schloshauer postiert, da er ihm einmahl ein paar Kinder gerettet hat, man sieht also deutlich, wer hier soll geschoren werden, ich will zu Schloshauers Ehre hoffen, daß der Plan bloß von Rinteln kömmt, und sie selbst ihn nur stark ahnden, aber was in der Sache geschehn soll und kann, dazu ist es wohl jetzt die höchste Zeit, ich bitte dich, schreib doch an jemand, an irgend einen Advokaten, oder Spiegels, oder Schloshauers, nur nicht an Frenzchen, denn obschon sie mir das oben Angeführte gesagt hat, so ist doch Asseburg sehr von Schloshauer eingenommen, und du würdest ihr große Verlegenheiten oder gar Verdrießlichkeiten zuziehen, und noch dazu ganz umsonst, da sie zu dergleichen gar nicht geschickt ist.

Wenn du vielleicht wünschest, daß ich Schloshauers besuchen, oder mich sonst um die Sache bekümmern soll, so muß ich wissen, ob die Sache in wirklichem Rechtsstreit ist oder kommen kann, oder ob ihr euch bloß auf Spiegels Billigkeit verlassen müsst, auch ob (wenn die Sache im wirklichen Rechtsstreit ist) Du persönlich als auftretende Competentin genannt bist, oder ob die Sache bloß in Sophiens Namen geführt wird, von den übrigen Sachen bin ich unterrichtet, und wenn ich nun dieses auch weiß, so will ich Schloshauer wohl so ausfragen, daß ich dir guten Bescheid schicken kann, ich glaube, wenn ihr Mimy auf eure Seite hättet, so wäre alles übrige unbedeutend, denn sie passiert, in dieser Sache, für eure hartnäckigste Gegnerin, Sie und Adolph – – – du mußt die Schloshauer nicht für zu gut für dergleichen halten, sie ist hier in der Gegend wegen ihrer Interessiertheit und Falschheit berühmt —

Soeben kömmt August, dem habe ich dies vorgelesen, der läßt dich bitten, ihm die ganze Sache doch sogleich ins Kurze gefaßt zu schreiben, er will sich darum bekümmern, will die Ehpackten nachsehn, mit einem Rechtsgelehrten sprechen, der sehr genau Bescheid weiß, und selbst nach Spiegel reiten, da er meint, es sei viel wert, wenn man die Sache im Guten abmache. (…)

In Hinnenburg hat Droste im Februar 1820 die Familie Bocholtz-Asseburg besucht.
Um welche Prozesssache es sich hier dreht, hat die Droste-Forschung bislang nicht ermitteln können.
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