(…) Ob ich mich freue nach Haus zu kommen? Nein, Levin, nein. Was mir diese Umgebungen vor sechs Wochen noch so traurig machte, macht sie mir jetzt so lieb, daß ich mich nur mit schwerem Herzen von ihnen trennen kann. Hör, Kind! Ich gehe jeden Tag den Weg nach Haltenau, setze mich auf die erste Treppe, wo ich Dich zu erwarten pflegte, und sehe, ohne Lorgnette, nach dem Wege bey Vogels Garten hinüber. Kömmt dann jemand, was jeden Tag ein paarmahl passiert, so kann ich mir bey meiner Blindheit lange einbilden, Du wärst es, und Du glaubst nicht, wieviel mir das ist.
Die Schenke am See Ist's nicht ein heitrer Ort, mein junger Freund, Das kleine Haus, das schier vom Hange gleitet, Wo so possierlich uns der Wirt erscheint, So übermächtig sich die Landschaft breitet; Wo uns ergötzt im neckischen Kontrast Das Wurzelmännchen mit verschmitzter Miene, Das wie ein Aal sich schlingt und kugelt fast, Im Angesicht der stolzen Alpenbühne? Sitz nieder! - Trauben! - und behend erscheint Zopfwedelnd der geschäftige Pygmäe; O sieh, wie die verletzte Beere weint Blutige Tränen um des Reifes Nähe; Frisch, greif in die kristallne Schale, frisch, Die saftigen Rubine glühn und locken; Schon fühl' ich an des Herbstes reichem Tisch Den kargen Winter nahn auf leisen Socken. Das sind dir Hieroglyphen, junges Blut, Und ich, ich will an deiner lieben Seite Froh schlürfen meiner Neige letztes Gut. ... Trink aus! - die Alpen liegen stundenweit, Nur nah die Burg, uns heimisches Gemäuer, Wo Träume lagern lang verschollner Zeit, Seltsame Mär' und zorn'ge Abenteuer. Wohl ziemt es mir, in Räumen schwer und grau Zu grübeln über dunkler Taten Reste; Doch du, Levin, schaust aus dem grimmen Bau Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneste. Sieh drunten auf dem See im Abendrot Die Taucherente hin und wieder schlüpfend; Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot, Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend; Seltsames Spiel, recht wie ein Lebenslauf! Wir beide schaun gespannten Blickes nieder; Du flüsterst lächelnd: immer kömmt sie auf - Und ich, ich denke, immer sinkt sie wieder!
Auch Dein Zimmer habe ich hier, wo ich mich stundenlang in Deinen Sessel setzen kann, ohne daß mich jemand stört; und den Weg zum Turm, den ich so oft abends gegangen bin; und mein eignes Zimmer mit dem Kanapee und Stuhl am Ofen – ach Gott, überall! Kurz, es wird mir sehr schwer, von hier zu gehn, obendrein noch zweihundert Stunden weiter als wir jetzt schon getrennt sind. Solltest Du es wohl recht wissen, wie lieb ich Dich habe? Ich glaube kaum. …
Levin, wenn Du kannst, wenn Du immer kannst, bleib bey Deinem Plane, in zwei Jahren nach Münster zu kommen; meine Gesundheit ist jetzt nicht so übel, ich werde dann wohl noch am Leben sein. Hörst Du? Denke, daß ich alle Tage zähle. Es ist schlimm, daß ich den Winter nicht hier bleiben kann; aber ich will auch nicht in Rüschhaus bleiben, sondern nach Hülshoff, und mir täglich Bewegung machen, dann denke ich wird es schon gehen.
Wenigstens einmahl wirst Du mir doch noch hieher schreiben? Es muß aber wieder auf dem alten Fuße sein; Laßberg bekömmt alle Briefe zuerst in die Hände und ist viel zu begierig nach Nachrichten von Dir, als daß ich ihn mit trocknem Munde könnte abziehn lassen; aber verkürze den offiziellen Bericht und laß dieses dem privaten zugute kommen. Schreib mir aber nicht eher nach Rüschhaus, bis ich Dir von dort meine Ankunft gemeldet; eine so weite Reise kann hundert Zufällen und Verzögerungen unterworfen sein.
NB. Mama schreibt mir von einem dicken Briefe, der für mich von Bielefeld von einem Buchhändler – woraus sie dieses schließt, sagt sie nicht – angekommen, und ob sie mir ihn nachschicken solle? Antwort: ja. Was könnte das sein? Weißt Du etwas davon? (…)
Des Misserfolgs ihrer langen erzählenden Gedichte sich erinnernd, suchte sie dabei nach der eigentlichen Form für das mächtige, nach Äußerung verlangende Talent, welches sie in sich fühlte, ungewiss und unsicher darüber, ob dies Talent für die prosaische Darstellung, für die Lyrik, für das Epos eigentlich geschaffen — am Ende war es gerade das Gefühl, dass es auf allen diesen Gebieten gleich bedeutend, gleich original und mächtig sich zeigen würde, was sie darüber schwanken ließ, wohin sich wenden.
Oft lenkte sich zwischen uns die Unterhaltung darauf, bei den nachmittäglichen Spaziergängen am Seeufer oder zu dem reizenden Punkt „Figels Häuschen“, wo in einer, die Aussicht auf die Appenzeller Alpen, den Säntis, die sieben Kurfürsten und das Thurgau bietenden Rebenlaube einst rasch improvisiert das Gedicht: „Die Schenke am See“ entstand.
Aus: Annette von Droste. Ein Lebensbild, 1862
Ich habe, wenn andere allenfalls einen Schatz, ein ganzes Trifolium … das gute Dröstchen und meine Münstersche unglückliche Liebe [Elise Rüdiger] und Dich … könnten wir doch alle zusammen in einer gemeinsamen Haushaltung auf unsern Lorbeeren ruhen.
An Ferdinand Freiligrath, 17. März 1842
Morgen früh reise ich hier ab. Der Abschied von den braven Leuten hier und der Droste wird mir sauer.
An Ferdinand Freligrath, 1. April 1842
Es sind jetzt sechs Wochen, seit ich von Meersburg fort bin – mir scheinen es sechs Monate – und bis auf diese Stunde habe ich noch keine Zeile von Ihnen erhalten – was ist das? Wissen Sie, dass ich recht ängstlich und besorgt deshalb bin? Mein einziger Trost ist die Annahme, dass Sie das schöne Wetter benutzt haben zu Ihrer intendierten Mailänder Reise – oder hat man Ihren Brief auf der Post verloren? Oder sind Sie krank? Bitte, wenn Sie können, nur ein paar winzige Zeilen, dass ich nicht länger unruhig sein brauche! Ich hoffe, Ihr Brief ist verloren gegangen, der Portier in Ellingen, der mir Briefe nachschicken soll, ist sehr im Stande dazu – ich hoffe es, so traurig es auch wäre, wenn mir eine Zeile von dem verloren ginge, was Sie mit so viel Mühe zustande bringen müssen; deshalb bitte ich ja auch nur um ein paar kurze Zeilen, um eine Seite höchstens, dass es Ihnen wohl geht.
Mondsee, 13. Mai 1842