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Meines Schwagers Ehrenwort darfst Du nicht in Schande bringen

(…) Vorgestern habe ich Deinen Brief erhalten, mein gutes Herz, und heute sitze ich schon wieder hinter der Feder, und zwar auch einmahl „in flüchtigster Hingeschmissenheit“, damit mein Brief womöglich noch vor oder mindestens zugleich mit demjenigen anlangt, den Dir Laßberg schreiben wird. Dieser hat nämlich soeben einen Brief vom alten Hug aus Freiburg erhalten des Inhalts, daß ihm eine Anfrage vom Regierungsdirektor von Recke (in Freiburg) geschehn hinsichtlich der moralischen und politischen Richtung des Levin Schücking, dem man, im Falle man hierüber gleich sichre und günstige Zeugnisse zu erhalten vermöge, als man bereits über andre erwünschte Eigenschaften eingeholt, die Redaktion der „Freiburger Zeitung“ anzubieten gedenke. Laßberg, der natürlich eine gelehrte Beschäftigung jeder andern vorzieht, auch nach seinem Charakter Selbstständigkeit höher als jeder andre anschlagen muß, und endlich, obwohl Hug nicht das geringste über die Verhältnisse jener Stellung sagt, diese sich doch als sehr vorteilhaft – z. B. etwa fünfzehnhundert Gulden Gehalt, und nach gewißen Jahren eine schöne Pension – vorstellt, ist außer sich vor Freude, und da Hug ihn als Mann von Ehre, dessen Zeugnis den Ausschlag gibt, befragt, sitzt er in diesem Augenblicke hinter seinen Schreibtisch und gibt dem Herrn von Reck sein Ehrenwort hinsichtlich Deiner moralischen und politischen Ansichten, und mit diesem zugleich soll ein Brief an Dich abgehn, worin er Dir alles dieses und das Bevorstehen des Antrages mitteilt. In dem Schreiben an Reck wird er die Vorteile Deiner jetzigen Stellung und vorzüglich die Gewißheit lebenslänglicher Pension nach acht Jahren hervorheben, um ihre Anträge dadurch zu steigern.

Lieber Levin, ich kenne Dich zehnmal besser wie Laßberg, und weiß, daß Du, obwohl weder Demagog noch Freigeist, doch nicht zur Hälfte so loyal und orthodox bist wie der gute alte Herr es meint; bedenke, daß ein Mann, der Dich liebt und allgemein geachtet ist, sein Ehrenwort für Dich gibt, und geh auf nichts ein, wenn Du fühlst, es nicht erfüllen zu können. Vielleicht ist das Blatt gänzlich von der Regierung abhängig, und eine entgegengesetzte Handlungsweise würde Dich sehr bald um deine Stelle bringen, wo Du dann zwischen zwei Stühlen säßest. Vielleicht steht es auch frei da, die Regierung mischt sich unberufen hinein, Du hättest bloß die Verpflichtung, [ihre] Inserate aufzunehmen, und könntest ihr übrigens, wenn Du erst fest säßest, ein Schnippchen schlagen; dann bleibt aber immer meines Schwagers Ehrenwort, was Du nicht in Schande bringen darfst.

Meine Zweifel Laßberg mitteilen konnte ich natürlich nicht, und es hätte auch nichts bewirkt, als daß ein Antrag rückgängig geworden wäre, der Dir doch jedenfalls angenehm sein muß, und Dich in mancher Beziehung vorteilhafter stellt beym Fürsten wie in der literarischen Welt, und der, wenn er Dir nicht ansteht, mit einem Lobe Deiner jetzigen Stellung so leicht zurückzuweisen ist, was noch zugleich ein schönes Kompliment für den Fürsten wäre, und Dir einen guten Stein im Brette gäbe.

Freiburger Zeitung

Hug schreibt übrigens, wie gesagt, nicht das geringste weder über die pekuniären noch literarischen Verhältnisse des Blatts, weder über seine Verbreitung noch Haltbarkeit; ich spreche also allerdings wie die Blinde von der Farbe, bis auf den Punkt des Ehrenworts, der klar und einfach daliegt. Das Übrige wird der Brief des Herrn v. Recke an Dich ohne
Zweifel hinlänglich beleuchten, bis auf das letztere, die Haltbarkeit, die jedes Blatt natürlich hofft und mindestens seine Zweifel darüber niemandem mitteilt. So kann es mir auch nicht einfallen, Dir eigentlich ab- oder zuzuraten, da ich die Freiburger Verhältnisse gar nicht und Deine jetzigen jedenfalls nicht halb so gut kenne wie Du selbst, aber Du wirst Deinem Mütterchen nicht böse werden, wenn sie Dich daran erinnert, daß du jetzt in dem Alter stehst, wo eine gesicherte Stellung anfängt äußerst wünschenswert zu werden, und daß Du Dir in keinem Falle das Brett unter den Füßen wegziehen darfst. Du kannst noch 50 Jahre leben, solange muß das Blatt also noch bedeutend florieren, wenn Dir nicht Deine Pension – ohne diese würde ich mich auf keinen Fall einlassen – übers Freiburger Münster fliegen soll, und Du vielleicht in einem Alter brotlos werden, wo Dir Mut und Kraft zu einer neuen Karriere längst gebrochen sind. Kömmt das Blatt aber vielleicht unter Garantie der Regierung heraus, oder wird mindestens so von ihr protegiert, daß es nicht wohl je eingehen kann, so dürfte Deine Stelle bey demselben allerdings einem festen Amte nahe stehn.

Ich bin nur neugierig, ob die Anerbietungen wirklich so verlockend lauten werden, wie Laßberg es sich denkt; anderseits – werde nicht ungeduldig, liebes Herz! – liegt es mir sehr im Kopfe, ob Deine Stellung beym Fürsten auch wohl so gesichert ist, wie sie scheint. Man hat mir gesagt, er sei sehr verschuldet, und was du mir alles schreibst von den vielen Reisen et cet., scheint mir eben nicht zur Verbesserung seiner Lage geeignet; man kann ein prächtiger Mann und doch ein sehr schlechter Wirt sein, und in solchen Fällen sieht es selbst bey dem größten Grundbesitz mit den Zahlungen der Pensionen wenn nicht gradezu unsicher, doch mindestens sehr unregelmäßig und beengend aus. …

Kurz, liebes Herz, ich bitte Dich dringend, tappe nicht blind zu, nach keiner Seite; mache es nicht wie die jungen Mädchen, die die ersten Freier en bagatelle behandeln, weil sie meinen, jetzt müßten sie nur so schockweise nachkommen, suche Dich über die schwierigen Punkte beider Stellungen möglichst ins klare und sichere zu setzen, und dann werden ja wohl Ehre und Vorteil den Ausschlag nach irgendeiner Seite geben. Bist Du ungeduldig? Hast Du den Brief schon zehnmal fortgeworfen? Levin, ich bin Dein treues Mütterchen, was Dich lieber erzürnt oder sich von Dir auslachen läßt, als schweigt, wo sie denkt, reden könnte gut für Dich sein. (…)

Die Freiburger Zeitung erscheint seit 1784. Mit dem Verleger wechseln Titel und redaktionelle Ausrichtung mehrfach im Laufe ihrer 150jährigen Geschichte. 1943 muss sie ihr Erscheinen einstellen. Die Universitätsbibliothek Freiburg hat alle Jahrgänge des Blattes digitalisiert. Die Freiburger Zeitung vom Entstehungstag des vorliegenden Droste-Briefes als pdf gibt es hier.

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Dass Sie nach Westfalen abgereist sind, und zwar am 10. dieses Monats, habe ich aus einem gnädigen Handschreiben von Laßberg gesehen, welches vorgestern bei mir einlief, begleitend sein neuestes Opus: „Der Oettinger“, in welchem mich die Vorrede wegen ihrer klassischen Gemütlichkeit ganz ungemein gefreut hat. Es ist außerordentlich viel kindlich liebenswürdiges in dem alten Herrn, so scharf er auch sonst sein kann, wie ich neulich erfahren habe, wo er böse war daß ich den Brief von Hug nicht gleich zurückgeschickt, und wo nur mein Arm-Malheur mich gerettet hat vor ewiger Ungnade.
    Ellingen, 29. August 1842

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