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Dummes Zeug aus der Leihbibliothek

(…) wir leben übrigens so still und angenehm für uns hin wie immer, Jenny malt recht viel und macht die übrige Zeit feine Handarbeiten, Ludowine ist uns ein sehr liebes und angenehmes Mitglied, sie ist, wenigstens hier, sehr nachgebend, und immer guter Laune, das letzte ist mir ungeheuer viel wert, denn ich bin wohl zuweilen traurig, aber wenigstens in zehn Jahren nicht mehr übler Laune gewesen (als Kind habe ich mich mehr damit abgegeben) und es gibt wohl keine fatalere Lage, als in der ein Gutlaunigter steckt, wenn er mit einem Übellaunigten in einem Zimmer ist, und weder hinaus gehn kann noch aus Furcht, den andern zu ärgern, wie sonst sprechen und lachen darf.

Ich selbst habe diesen Winter nur sehr wenig tun dürfen und habe deshalb auch bisweilen an der Langeweile laboriert, besonders, da wir es in diesem Winter mit der Lesebibliothek so unglücklich getroffen haben. Ich hätte zwar auf keinen Fall in meiner jetzigen Lage selbst lesen dürfen, aber in den verflossenen Wintern las Mama doch jeden Abend ein paar Stunden vor, aber grade diesen Winter, wo mir dieses Gold wert gewesen wäre, da ich den ganzen Tag nichts tun, nicht einmahl denken durfte und die übrigen viel zu beschäftigt waren, um sich mit mir abzugeben, grade diesen Winter hatte Mama bald etwas zu tun, bald Kopfweh, bald waren Fremde hier, kurzum, es ist gewiß keine zehnmal vorgelesen worden, obschon wir den ganzen Winter hindurch eingeschrieben waren, und zudem haben wir immer so dummes Zeug geschickt erhalten, daß wir meistenteils mitten im Buche aufgehört haben.

Dies ist nun freylich eigentlich unsre Schuld, da wir die Bücher selbst aufschreiben, die wir verlangen, aber wir haben uns schon so lange in den münstrischen Leihbibliotheken herum getrieben, und sie schaffen sich so wenig Neues an, daß wir das Beste schon herausgelesen haben, und es nun mit dem ganz Unbekannten versuchen müssen. (…)

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