(…) Ich kann mich unmöglich so schnell entschließen, als von mir verlangt wird. Wenn es nicht so lange Zeit hat, bis ich wieder in Rüschhaus bin und ein wenig mit Euch überlegt habe, so lasst es lieber ganz beruhen, denn auf keinen Fall ist mir viel daran gelegen mitzugehn, aber es könnte mir wohl, bey näherer Überlegung, sehr zuwider sein. Gegen Mannheim habe ich, an und für sich, einen Widerwillen. Die guten Seiten dieses Aufenthalts reizen mich nicht. Von der schönen Gegend kann ich im Winter nicht profitieren. Daß die Stadt schön und regelmäßig gebaut ist, ist mir gleichgültig. Das Theater ist gut, d.h. etwa wie das Casseler, aber Du weißt selbst, daß ich etwas geizig mit Theatergeld bin, und bloß wenn ich etwas Besonderes könnte zu sehn bekommen, wie z.B. in Mailand, Florenz, Wien, Paris et cet., würde ich mein Geld daran zuweilen verwenden, aber für ein Theater wie das Casseler oder Mannheimer gewiß nicht öfterer wie 2-3 Mal im ganzen Jahr.
Uebrigens ist Mannheim ein kleines Nest, kleiner wie Münster und Cassel, und viel weniger Adel darin, und wir haben das Vergnügen die Lotte Lilien und ihre Schwester Johanna dort en vogue zu finden, und wir werden uns entschließen müssen, entweder mit ihnen umzugehn oder sie uns zu Feinden zu machen, denn Mannheim ist viel zu klein, und die gute Gesellschaft ist viel zu beschränkt, als daß Landsleute sich dort ausweichen könnten.
Kurz, statt Mannheim würde ich weit eher Cöln oder Bonn wählen, oder ganz einfach eine Zeitlang in Münster sein, wo ich weit wohlfeiler und bequemer eine größere Stadt und bessere Gesellschaft fände. Von der köstlichen südlichen Luft dort mag ich nur gar nichts hören, denn wenn das Klima auch etwas früher ist, so sind dagegen die Ausdünstungen des Rheins sehr schädlich für die Brust, wenigstens bis Coblenz war die Luft weit schärfer und angreifender wie hier.
Mit München wär es schon ein anderes. Die Stadt ist soviel größer, die Theater und alles dergleichen soviel bedeutender, die Auswahl zum Umgang soviel reichhaltiger (ohne Zweifel) und man wird dort soviel unbemerkter und nach seinem eigenen Geschmacke leben können, daß dieses alles schon weit eher einer Ortsveränderung wert ist. Zudem ist dort eine Malerakademie und Galerie, was für mich auch ein großer Reiz sein würde.
Aber doch ist noch so manches dabey zu bedenken und so manche Frage zu tun, die ich, leider, jetzt nicht beantwortet kriegen kann, z.B. wenn Tante Betty und Sophie sich so sehr gebessert haben, daß man jetzt um sie ganz ohne Sorgen sein kann, so ist der Aufenthalt bey ihnen mir gewiß lieb und werth; sollten sie aber nur noch einigermaßen so sein wie voriges Jahr, so muß ich, am Ende, die Stärkste von allen sein und würde mich schrecklich abängstigen, denn ich kann Dir sagen, daß, so sehr ich Sophie das letzte Mahl bat, doch noch zu bleiben, weil ich glaubte, daß es ihr gut sei, so fühlte ich doch recht gut, daß ich es gar nicht aushalten könnte, wenn ich mich, lange Zeit, so ängstigen würde, wie ich es, diese Zeit über, um Sophie und zuweilen um die Tante von Bonn getan habe. Wären wir nach Florenz oder Nizza gegangen, so wäre das ganz ein anderes gewesen; ich hätte dann nicht mit ihnen in einem Hause gewohnt und hätte dann Mama und Dich und Ludowine als gesunde Personen zu meinem Trost gehabt, statt daß es jetzt nichts als ein ganzes Lazarett von Kränklichen ist.
Dieses wäre nun der Hauptgrund, den ich gegen jedes einzelne Mitreisen mit den Bökendorfern hätte. Doch ich hätte noch mancherlei zu sagen, worauf ich jetzt keine Antwort kriegen kann, z.B. ob Onkel Werner eine, wenn auch nicht homöopathische, doch einfache Küche halten wird oder wieder alles so zusammengesetzt und gewürzhaft wie in Cöln? Wie er es mit den Tisch- und Schlafstunden halten wird, kurz, ob seine ganze Lebensweise die eines Genesenden oder die eines Mannes von Welt sein wird. Im letzten Falle kann ich es nicht mitmachen, und ich fürchte: wenn seine Gesundheit es nur einigermaßen zuläßt, so schließt er mit der letzten Lebensweise, wenn er auch mit der ersten anfängt. Das Beispiel thut zuviel.
Sollte es, möglicherweise, zu dieser Reise kommen, so glaube ich, wäre es am besten für mich, ganz auf eigne Kosten und bloß unter seinem Schutz und Aufsicht zu leben, d.h. nur in zwei Zimmern, oder auch nur eins im selben Hause mit ihm zu mieten und mir mein Essen holen zu lassen; dann könnte ich zu gehöriger Zeit, und so viel oder wenig ich möchte, essen und schlafen und wäre nicht gezwungen, immer seinen Gesellschaften mit beyzuwohnen. Kurz, ich wäre doch auch ein wenig independent. Sähe ich nun, daß ich auskäme mit meinem Gelde, so könnte ich mir auch allenfalls ein Mädchen nehmen, denn von einer Portion Essen können immer 2 satt werden, sie schliefe dann mit mir auf einem Zimmer et cet.
Doch das sind wohl zu hochfliegende Pläne. Du siehst aber aus dem Ganzen, daß ich völlig unentschlossen bin und viel zu wenig von der Lage der Dinge weiß. Ich wollte, es wäre mir nur möglich, nach Rüschhaus zu kommen.
Sobald ich kann, komme ich gewiß, wenn es auch vor Sonntag ist, — adieu, liebe Jenny, tausend Grüße an die arme liebe Mama, die ja wieder, leider die belle Rose hat, von
deiner Nette
Wie steht es mit der Reise nach Nizza? Ich hoffe, Ihr entschließt Euch mitzugehen; aber bestimmt und gleich, denn die Einrichtungen müssen gleich darnach getroffen werden. Nette ist ganz voll davon, Therese, Jenny, Werner und alle halten es für sehr zweckmäßig, dass sie mitgeht. Sie mag aber nicht ohne Jenny reisen. Ihre Einbildungen, Apprehensionen etc. kann auch niemand beschwichtigen als Jenny. Ohne Jenny darf sie nicht reisen, und meine Frau protestiert förmlich, sie allein mitzunehmen, wenn Jenny und Therese nicht dabei sind. Jenny will wohl mitgehen, aber nicht ohne Therese. Therese möchte gern Nette mitschicken, auch allenfalls Jenny, nur nicht selbst mitgehen (…). Es soll mich wundern, was Ihr in Rüschhaus und Münster beschließen werdet…
An Schwester Ludowine von Haxthausen, 14. April 1830
… dass unsere Reise nach Nizza vollständig zustande kommt. Fritz ist ganz davon eingenommen, da alle Leute es hier approbieren. Karl schreibt, das Projekt gefalle ihm sehr, er sprach Dienstag den 27. April von Hildesheim abzureisen, er wird also schon künftigen Mittwoch bei uns sein. August schreibt, er finde das Projekt vortrefflich, schickt beiliegende Aufstellung, Rescript, welches du Werner mitteilen musst …
An Schwester Therese von Droste, 24. April 1830