Liebste Jenny, ich bin krank, kann gar nicht schreiben und muß doch, seit 14 Tagen, über meine Kräfte – zwey Briefe an Dich, wovon ich an dem einen zwey, an dem andern vier Tage mich geplagt hatte, habe ich zerreißen müssen, weil unterdessen Alles anderst eingerichtet worden war, nun kann ich aber nichts mehr! und da Mama selbst kömmt, kann sie dir auch von allen Verwandten und Freunden zehnmal umständlicher selbst erzählen. Ich schicke Dir also für dieses mal nur dieses wunderliche Blatt, was die inwendig voll geschriebene Adresse eines der Briefe war und allerley enthält, was ich sonst abschreiben müste, und mich wirklich in diesem Augenblicke gar nicht capable[1]capable: fähig dazu fühle. (…)
Wie leid es mir thut, nicht nach dem lieben Meersburg zu kommen, Dich, Laßberg und die lieben lieben Kinder nicht sehn zu können, brauche ich Dir nicht zu sagen; aber die Gründe sind überwiegend und lassen mir keine Wahl. Gebe Gott, daß die homöopatische Kur unsern Hoffnungen entspricht und meine Gesundheit endlich eine glückliche Wendung nimmt. Geschieht dies jetzt nicht, so muß ich mich drein ergeben, meine Unbequemlichkeiten bis an mein Grab zu tragen, und bin dann auch mit Gottes Willen zufrieden.
Die erste Zeit werde ich noch wohl hier bleiben, um wenigstens die ersten Pulver recht in Ruhe wirken zu lassen, dann aber nach Hülshoff gehn, zu dem armen Werner, der nach meiner Ansicht recht miserabel da unten sitzt zwischen all dem Kinderlärm, und doch, wenn er oben ist, niemanden hat, der ihm zur Hand geht. Mama hat wenig Fiducit[2]Fiducit: (Selbst-)Vertrauen, Zutrauen zu meiner Pflege und meint, wir würden zu viel disputieren; aber wenn ich auch bey Gesunden oft zu wenig Rücksichten nehme, so glaube ich doch nicht, daß man mir dieses bey Kranken nachsagen kann. Er scheint auch sehr zu wünschen, daß ich komme. Gefährlich ist sein Uebel indessen gewiß nicht, lebensgefährlich mal sicher nicht (da es nicht von innen heraus, sondern durch einen Fall entstanden ist). Aber hoffentlich wird es auch keine bedeutenden Spuren zurücklassen, aber ich fürchte eine sehr langsame Kur.
Bis zum Frühling sind wir indessen hoffentlich Beiye so weit, daß ich reisen kann, und ich will es alsdann gewiß nicht an Fleiß fehlen lassen, mich nach einer Gelegenheit umzuhören, wäre es auch nur für einen Teil des Weges, etwa bis Coblenz oder Mainz. Ich mache mir nichts daraus, eine gute Strecke allein zu reisen, gebe meinen Koffer auf die Post und nehme mir den Reisesack mit. Was kann mir dann Großes begegnen? Höchstens, daß ich einmahl das Dampfboot versäume und ein paar Stunden im Gasthofe auf das nächste warten muß, das wäre doch noch nicht alle Welt! (…)
Du kannst leicht denken, wie sehr uns die Hoffnung erfreut, dich noch in diesem Monat hier zu sehen, das ist der klügste und für dich heilsamste Gedanke, den du je gehabt hast, und ich bin gewiss, dass die hiesige Luft dich bald kurieren wird, ich bitte dich nur jetzt auch mit der Abreise zu eilen, damit du die Wirkung dieses warmen Herbstes noch genießen kannst, und dich erholst, ehe der Winter kommt. Das Wetter ist hier fortwährend so warm und trocken, dass man glaubt, die Weinlese werde noch vor Anfang Oktober anfangen, und es wäre doch himmelschade, wenn du deine schönen Trauben nicht mehr sähest; alles hofft auf einen vortrefflichen Wein, wir waren vor 4 Tagen in deinem Rebberg und fanden alles sehr schön, es war mein erster Ausgang, gottlob geht es mir wieder recht gut, aber ich habe mich lange schonen müssen, und der Doktor hoffte nicht, dass ich noch so bald wieder gut werden würde, obschon ich doch 16 Wochen krank war.
Meersburg, im September 1846