(…) Meine Mutter hatte bey unserer Abreise ein Unwohlsein, Schwindel, plötzliche Übelkeiten, die mich doch sehr besorgt machten, so daß ich nur sehr ungern und halb gezwungen ging. Seitdem war die letzte Nachricht von Haus der plötzliche Tod unrer Anna (meines Bruders Töchterchen), und auf diesen Schrecken nun seit anderthalb Monaten keine Zeile! Sie können sich meine Angst nicht denken. Ich stand morgens im Finstern auf und wartete stundenlang an der Treppe auf den Postboten, damit man mir keinen Brief mit übeln Nachrichten unterschlagen könne, und ich glaube, wenn es länger gewährt hätte, wäre ich krank oder verrückt geworden. Gottlob! Der Brief ist da und alles gut. (…)
Übrigens geht es Sch[ücking] sehr gut. Er ißt, was ihm schmeckt ohne Magendruck, läuft stundenweit, bergab, bergan, ohne daß seine Brust es spürt, und hat alle Aussicht, mit einem Gesichte so rund und rot wie ein Apfel heimzukehren. (…)
Man lebt hier recht angenehm und überaus ungeniert, kann so viel Einsamkeit oder Gesellschaft haben als man mag; zwei weibliche Erziehungsanstalten, die eine von zwar etwas prosaischen, aber recht gescheiten und unterrichteten Klosterfrauen, die andre von vier sehr gebildeten und angenehmen Damen geleitet, würden mir, und ein Schullehrerseminar, an dem 5-6 mitunter recht talentvolle und unterrichtete junge Leute von Schückings Alter als Lehrer angestellt sind, würden auch Sch[ücking] wohl einen ganz brauchbaren Umgang gewähren können, wenn wir uns nicht beide in den Kopf gesetzt hätten, in diesem Winter etwas Ordentliches au propre cru[1]au propre cru: franz. aus eigener Ernte zu leisten, und also immer zu wenig Zeit haben. (…)
↑1 | au propre cru: franz. aus eigener Ernte |
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