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Hier liest es keine Seele

(…) Du weißt, daß der Landtag alle Hände so voll gehabt hat, daß die Schulangelegenheiten gar nicht haben zur Sprache kommen können. Manche sagen, nicht mit Unrecht, sie hätten dafür einige Privatsachen, z.B. Jagdsachen et cet., hinter Weges lassen sollen. Es ist traurig daß so sehr viel Verstand und Geistesunabhängigkeit dazu gehört das Allgemeine aufzufassen, und die ehrlichsten Leute, die sich nicht mit Millionen bestechen ließen, doch ihr zerbrochenes Töpfchen immer für den Hauptschaden halten. – Gutsbesitzer – Kaufmann – Städter – Jeder stimmt für sein Interesse, so mache sie sich einander kaputt, und das Resultat ist, daß alle mit gleicher langer Nase anziehn…

Perdu!: mein Lustspiel, worin höchstens einer Persönlichkeit (der Bornstedt) zu nahe getreten sein könnte, ist auch von meinem Kreise förmlich gesteinigt und für ein vollständiges Pasquill auf sie alle erklärt worden, und doch weiß Gott, wie wenig ich an die guten Leute gedacht habe. Schücking und die Rüdiger waren die einzigen die nichts Anstößiges darin fanden, obwohl beiden auch ihre Rollen zugeteilt wurden, und zwar letzterer eine höchst fatale.

Meinen Gedichten geht es schon gut in der weiten wüsten Fremde. Es sind kürzlich wieder zwei Rezensionen heraus gekommen (Dresden und München), so gut wie die, [die] du bey mir gelesen. Einer der Rezensenten (der Dresdener) ist so artig gewesen, mir das Blatt unter Umschlag an meinen Verleger zuzuschicken, hat sich aber nicht genannt.

Ein gewißer Engel, der in Hamburg am „Telegraphen“ schreibt, ist noch galanter, und sagt in seinen („Reiseskizzen“ glaube ich), als er auf Münster kömmt, „wie man eine Stadt so wenig beachten könne, wo man vielleicht Levin Schücking und Annette Elisabeth von D. H. unter den Bogenhallen begegnen könne“, wobey er sich des breiteren über mein Büchelchen ausläßt. Die Bornstedt ist furios darüber gewesen und hat behauptet, der Mensch sei von Levin dazu gekriegt, sonst hätte er statt meiner wohl sie genannt, denn sie habe viel geschrieben und einen Namen in der Literatur, meine paar Brocken aber kenne kein Mensch.

Alles das könnte mich ganz stolz machen, wenn ich nicht die niederschlagende Gewißheit hätte, daß meine erste Auflage noch nicht vergriffen ist. Man sagt mir, das käme daher, daß mein Verleger keine auswärtigen Konnexionen[1]Konnexion: vorteilhafte Beziehung habe und nirgends hin größere Sendungen mache, so daß weit entfernte Buchhändler, die es eigens müßten kommen lassen, keinen Vorteil dabey sähen, umso mehr, da Hüffer es schon sehr teuer abläßt (fast einen Taler).Ob dieses der alleinige Grund sein kann, weiß ich nicht und denke vielmehr, es wird immer ein zu kleines Publikum haben, um eine gute Buchhändlerspekulation zu sein.

Übrigens glaube ich, daß die Auflage jetzt bald vergriffen ist (sie war aber auch klein, 600 Exemplare) und, was irgend verkauft wird, geht ins Ausland, hier liest es keine Seele, meine eignen Verwandten und ältesten Freunde haben noch nicht hineingesehn. (…)

References
1 Konnexion: vorteilhafte Beziehung
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