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Müde wie ein Postpferd

Was Du von mir denkst, meine liebe alte Mama, das weiß der liebe Gott, aber das weiß ich wohl, daß ich ganz unschuldig bin und in den letzten vier Wochen oft nicht wusste, wo mir der Kopf stand. Ich bin jetzt schon in der 5. Woche bey der Mertens, die sehr gefährlich krank gewesen ist. Ich habe viel Last gehabt, so viel wie in meinem Leben noch nicht. Ich habe die arme Mertens Tag und Nacht verpflegt, fast ganz allein; denn ihrer Kammerjungfer hatte sie grade zuvor aufgesagt, weil sie trinkt, und konnte sie nun gar nicht mehr um sich leiden, (…) ihre beiden ältesten Mädchen sind in der Pension. Adele Schopenhauer immer krank. So war ich die Nächte zu der Sache.

Wie hab ich doch so manche Sommernacht,
Du düstrer Saal, in deinem Raum verwacht!
Und du, Balkon, auf dich bin ich getreten,
Um leise für ein teures Haupt zu beten,
Wenn hinter mir aus den Gemaches Tiefen
Wie Hülfewimmern bange Seufzer riefen,
Die Odemzüge aus geliebtem Mund;
Ja, bitter weint' ich - o Erinnerung! -
Doch trug ich mutig es, denn ich war jung,
War jung noch und gesund.

Du Bett mit seidnem Franzenhang geziert,
Wie oft hab' deine Falten ich berührt,
Mit leiser, leiser Hand gehemmt ihr Rauschen,
Wenn ich mich beugte durch den Spalt zu lauschen,
Mein Haupt so müde, daß es schwamm wie trunken,
So matt mein Knie, daß es zum Grund gesunken!
Mechanisch löste ich der Zöpfe Bund
Und sucht' im frischen Trunk Erleichterung;
Ach, Alles trägt man leicht, ist man nur jung,
Nur jung noch und gesund! ...

aus: Nach fünfzehn Jahren

Die arme Billchen hat die ersten vierzehn Tage keine einzige Stunde geschlafen; jetzt ist es viel besser, aber doch stehe ich fast jede Nacht ein oder ein paarmahl auf. Dabey habe ich die ganze Haushaltung übernommen und gewiß mehr als 20 Schlüssel täglich zu gebrauchen; zwischendurch muß ich dabey nach den Kindern sehn, da die Madame D. fort ist. Ich tue das alles herzlich gern und befinde mich wohl dabey, aber müde bin ich oft wie ein Postpferd. Ich bin in dieser Zeit nur einmahl auf eine Stunde nach Bonn gefahren, um mich nach der Grauert zu erkundigen, — habe aber fast nichts erfahren, — die Grauert selbst hat fast niemand mit Augen gesehn, sie muß gar keine Bekanntschaften gehabt haben, — von den Domestiquen die Niebuhrs damals gehabt haben, ist —

Bonn, den 20.

So alt ist dieser Brief geworden, derweil habe ich Deinen lieben lieben Brief bekommen, liebe Herzensmama, wie freundlich schreibst Du mir, — ich meinte, ich sähe Dich vor Augen! und den alten Hans! und Heinrich! — was habt ihr Alles ausgestanden! — Es ist nirgends mehr Freude in der Welt! — Hier war es auch wieder sehr schwer, das heißt, in Plittersdorf. —

Die Mertens war so elend, so matt, daß ich dachte, sie wäre in den letzten 14 Tagen der Schwindsucht, aber es sind alles nur Krämpfe gewesen. Sie ist jetzt besser. Das Kopfübel ist gehoben, sie nimmt stärkende Bäder, wonach, wie der Arzt meint, ihre Kräfte sich vielleicht sehr bald wiederherstellen werden. Die Adele ist gekommen, mich abzulösen, und nun bin ich wieder hier.

Ach Gott, was habe ich für Angst ausgestanden! Wie dein letzter lieber Brief kam, war alles so, daß ich keine Minute von ihrem Bette gehn und an kein Schreiben denken konnte. Sie war den Tag gerade so, daß sie fast gar nicht mehr sprach und 24 Stunden lang nichts aß, weil sie vor Schwäche nicht schlucken konnte. Und doch ist keine Todesgefahr da, wie der Doktor versichert (…)

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Inkonsequenz, Launen, Mutlosigkeit, grenzenlose Härte gegen mich, abwechselnd mit Vertrauen u. Hingebung, das waren die Früchte des Umgangs mit Annetten. Sybille zeigte sich charakterlos … es blieb beschlossen, dass sie nach Vevay sollte teils ihrer Gesundheit wegen, teils um von ihrem Mann sich zu entfernen Auch hier zeigte sie sich ganz unentschlossen, sogar kleinlich. Die Annette sollte mit, ich stehe bei M[ertens] ganz in Ungnade und die Mutter kann mich auch nicht entbehren. Ich litt unsäglich. … Dass ich aber so mit Annette ihre Neigung nicht teilen mochte war mir gewaltig klar. Wolff war höchst besorgt u bat mich aufs Land zu gehen, Ruhe sei mir höchst wichtig. Beim Abschied war Billa einen Tag bei mir u die alte Liebe siegte.

    Sie schrieb bald darauf sehr trübe über sich selbst, ich tröstete u riet; aber mein Entschluss blieb fest, reiste sie mit Annette war sie verloren, ich wollte selten oder gar nicht schreiben, sie Annetten still lassen … Vor vier Tagen kam sie zu mir, sagte eigentlich nichts, war erstaunlich innig, weich wie ein Kind, u. ganz nebenbei erfuhr ich: Annette habe von ihrer Mutter Briefe, diese wünsche Nettens Rückkehr. Hat das inkonsequente Geschöpf Sybillen wehgetan, ich weiß nicht – kurz ich danke Gott! Denn Annette reist nicht mit nach Vevay.
    Brief an Ottilie von Goethe, Mai 1831

  2. Nun wegen Nette ihrer Reise mit der Mertens. Diese ist wirklich im Werke gewesen und es lag nur an meiner Einwilligung. … konnte ich die geben? Erstens kann Nette ohne Vormund und Geschäftsführer gar nicht in der Welt bestehen. Diese ist hier Jänny, in Bonn war es Pauline. Die Mertens stelle ich nun gerade so für, nur noch um ein Nötchen schlimmer, jetzt so gar um vieles schlimmer, da sie körperlich und geistig krank (quasi halb verrückt) war. Diese beiden dusseligen Prinzessinnen wollten und sollten nun auf ihre eigene Hand wie ein paar Meteore im südlichen Frankreich, in der Schweiz umherziehen, dies war Herr Mertens sein Plan, der nicht halb, sondern ganz verrückt ist.

    Dabei sollte Nette noch die Hälfte der Reisekosten stehen, denn darum war es Mertens wohl zu tun, der Geizhals wollte keine Gesellschafterin für seine Frau bezahlen, da sollte Nette die Last und die Sorge aufnehmen und ihre Gesundheit und ihr Geld zugleich aufopfern, sie war selbst sehr angst und besorgt dabei und ich war recht böse, betrieb auch mit Gewalt ihre Zurückkunft, und der gute Moritz brachte sie am 9. Juni wieder, sie sieht sehr gut aus, besser wie ich dachte, denn das arme Ding hat die Mertens in ihrer Krankheit, die sich hauptsächlich auf den Kopf geworfen hatte, 5 Wochen gewartet und gepflegt und tausend Angst und Not dabei ausgestanden.
    Brief an Sophie von Haxthausen, 18. Juli 1831

  3. Betty von Haxthausen sagt:

    Anna war begierig, wie Nette mit der Mertens harmonisieren würde, und dies geht ganz vortrefflich; sie fühlten sich in geistiger Hinsicht wechselseitig angezogen; die Mertens, welche leider sehr kränkelt, wird durch Nette sehr erheitert, und Herr Mertens ist ganz charmiert in sie, und möchte sie in seinem Hause etabliert sehen, um sich an ihren lebendigen Erzählungen ergötzen zu können …

  4. Louis Mertens sagt:

    Meine Frau hat Lust, mit der Fräulein Droste eine Reise nach der Schweiz zu machen, in der Hoffnung, da ihre Gesundheit wiederzuerlangen. … Ich gebe Wagen und Pferde dazu, die übrigen Depensen macht jeder nach seinem Vergnügen und Willen. Die Abreise könnte in der Mitte oder Ende Mai statthaben.

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