1831 21.Januar
Du siehst aus diesem langen Bogen, liebste, beste, alte Mama, dass ich wenigstens den Willen habe, recht viel zu schreiben. Ob ich dazu komme, das weiß Gott; obgleich ich nichts, gar nichts zu tun habe und auch nirgends hingehe. Aber ich habe mein Nichtstun so künstlich eingeteilt, dass mir keine Minute übrigbleibt und ich den ganzen Tag wie auf der Flucht bin. Du kannst meine höchst einfache und pünktliche Lebensordnung schon aus meinen früheren Briefen beurteilen. Eben in derselben Form besteht sie noch immer. Ich lebe so sehr nach der Uhr, dass ich mich ganz desorientiert fühle, sobald ich mal etwas anderes vorgenommen habe. …
Plittersdorf, 7. Mein Brief ist schon fast acht Tage alt geworden. Ich bin hier, um die Mertens zu pflegen, die sich, grade an dem Tage, wo ich angefangen zu schreiben, durch einen Stoß am Kopfe verletzt hatte. Ich habe viel Angst um sie ausgestanden, aber jetzt wird, hoffentlich, alle Gefahr überstanden sein. Doch ist sie noch sehr schwach und schläft des Nachts äußerst wenig. Doch gottlob, dass die Schmerzen im Kopf nicht zur eigentlichen Entzündung gekommen sind; sie hat diese Nacht einige Stunden geschlafen und hat guten Appetit.
Bonn/Plittersdorf, 31. Januar – 7. Februar 1831
Hintergrund: Adele Schopenhauer beobachtet die Nähe zwischen ihrer Freundin
Sibylle Mertens und der Droste mit wachsender Eifersucht. Mitte März 1831 löst sie Annette bei der Krankenpflege ab. Wenige Wochen später bittet Adele die Droste, wiederum die Pflege zu übernehmen - doch diese weigert sich zunächst, weil sie ihre Freundin Wilhelmine von Thielmann in Koblenz besuchen will. Nach einem Streit mit Adele kehrt Annette Ende April wieder ans Krankenbett der Mertens nach Plittersdorf zurück.
Thematisch verwandte Briefe:
Kann ich Sibylle mitbringen? Denk Dir Mama, mit Deinem letzten Briefe zugleich bekam ich einen von Johannes, der mir vorschlug, mit ihm auf dem Dampfboot bis Wesel, und dann mit einem Hauderer weiter zu Euch zu kehren — ich kriegte in dem Augenblick ein solches Verlangen nach Haus, dass ich es beinahe getan hätte, so wenig schicklich es mir auch selber vorkam, aber die armselige Mertens hatte kaum ein Wort davon gehört, als sie so erbärmlich anfing zu weinen, dass ich per compagnie mit daran kam und ihr versprach nicht eher zu gehn, bis sie sich wenigstens einigermaßen erholt hätte. Das kann nun noch...
Müde wie ein Postpferd Was Du von mir denkst, meine liebe alte Mama, das weiß der liebe Gott, aber das weiß ich wohl, dass ich ganz unschuldig bin und in den letzten vier Wochen oft nicht wußte, wo mir der Kopf stand. Ich bin jetzt schon in der 5. Woche bei der Mertens, die sehr gefährlich krank gewesen ist. Ich habe viel Last gehabt, so viel wie in meinem Leben noch nicht. Ich habe die arme Mertens Tag und Nacht verpflegt, fast ganz allein; denn ihrer Kammerjungfer hatte sie grade zuvor aufgesagt, weil sie trinkt, und konnte sie nun gar nicht mehr um sich...
Klare Worte an Sibylle Ich bin krank, Billchen, deshalb soll ich gar nicht schreiben, nicht lesen; nun, das Verbot ist überflüssig, die Buchstaben schwimmen und rennen durcheinander wie Wassertierchen. Ich will versuchen, wie weit ich komme. ... Von früherhin ließe sich allerdings manches sagen, und müßte sogar gesagt werden, aber für dieses Mal wird's nicht gehen, mein Kopf läuft mit mir um. Nur so viel, ich war Dir böse und bin es nicht mehr, denn ich habe mich entschlossen, jenes, was mich kränkte, und zu verschiedenen Zeiten oft und sehr gekränkt hat, in Zukunft als etwas Unabänderliches zu tragen. Ich meine Deine Unfähigkeit, persönliche...
Achterbahn mit Sibylle Die Mertens war allerdings vier Wochen lang in Münster; hören Sie die Veranlassung, und Sie haben ihren Charakter von der besten und schlimmsten Seite. Ich hatte ihr in Bonn griechische Münzen versprochen, die ich nicht alle für echt halte, aber doch einige darunter, hatte sie ihr auch geschickt und den dankbarsten Brief erhalten, worin sie zugleich mein Urteil über Ächtheit und Nichtechtheit bestätigte. Hierauf verhinderte mich meine Krankheit, zu antworten, und nun erhielt ich den allerimpertinentesten Brief; sie schickte mir die Münzen zurück: "sie seien alle unecht und nichts wert, würden auch, wenn sie echt wären, von so großer Seltenheit...
Die Droste ist bei ihr und nimmt sich gut.
An Ottilie von Goethe, 2. März 1831
Die Mertens hat mir den Teil Ihres Briefes mitgeteilt, welcher Ihre Reise nach Koblenz zur Thielemann betrifft, ich begreife eine Menge hierbei, zum B[eispiel], dass Sie jetzt hinwollen um die letzte Zeit dem kranken Tierchen nicht mit Gewalt entziehen zu müssen, und dass Bonn trotz seiner enormen Vorzüge doch nicht ganz an das Paradies reicht, auch was Sie in Hinsicht meines Bleibens sagen, begreife ich! Es ist eine enorme Sache um den menschlichen Verstand! Ich glaube, Sie haben ganz recht, wenn Sie sagen, dass Sie immer nur eine gewisse Zeit bleiben können, diese mag nun in 8 oder 14 Tagen anfangen, aber dennoch, liebe Droste, kann ich Ihnen durchaus nicht unbedingt versprechen, noch mehrere Wochen zu bleiben der Mama wegen. … ich möchte überhaupt nichts entscheiden, denn mir ist noch immer nicht recht klar, ob es besser ist, wenn Sie Billchen pflegen oder wenn ich es tue, die Bäder tun es nicht allein, Ihre große Heiterkeit tut doch auch sehr viel.
Plittersdorf, etwa Mitte April 1831
Liebe Nette, ich habe Sorge, dass Sie durch meine Art und Weise … verletzt sind. Nehmen Sie meiner Lage und meiner ganzen Stellung nicht zu viel übel; ich glaube jetzt etwas zu viel Entschuldigungen zu haben; jetzt eben, heißt das; damals eigentlich nicht. Doch ich höre zuletzt, wenn man lange mit mir spricht, nicht was man sagt; ich fasse es nur im Allgemeinen auf, was man meint, und schweige oft aus peinlicher Zerstreuung.
Glauben Sie mir, liebe Nette, ich will wo möglich niemandem etwas Unangenehmes oder gar Schmerzliches empfinden machen, ich bin nur ganz ungeschickt und im Ganzen äußerst schwer (bei so vielen Eigenheiten) richtig zu behandeln. Das hat mich verleitet, und ich fürchte, ich habe allerlei ganz Dummes gemacht und gesagt. Vergeben Sie das, wenn Sie irgend können.
Bonn, April/Mai 1831