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Sollte das nicht möglich sein, daß Sibylle herüber käme?

(…) Denk Dir Mama, mit Deinem letzten Briefe zugleich bekam ich einen von Johannes, der mir vorschlug, mit ihm auf dem Dampfboot bis Wesel, und dann mit einem Hauderer[1]Hauderer: Lohnkutscher weiter zu Euch zu kehren — ich kriegte in dem Augenblick ein solches Verlangen nach Haus, daß ich es beynahe getan hätte, so wenig schicklich es mir auch selber vorkam, aber die armselige Mertens hatte kaum ein Wort davon gehört, als sie so erbärmlich anfing zu weinen, daß ich per compagnie mit daran kam und ihr versprach nicht eher zu gehn, bis sie sich wenigstens einigermaßen erholt hätte. Das kann nun noch immerhin einige Wochen dauern. Das arme Thier!

Ich wollte, sie könnte mich nachher begleiten und ein paar Wochen bey Werner und Line mit mir zubringen; ich weiß gewiß, sie würde sehr bald wieder besser, wenn sie nur ein paar Wochen aus dem weitläufigen Haushalt weg wäre — sollte das nicht möglich sein, daß sie herüber käme? Wenn ich wüßte, daß Werner nichts dagegen hätte, dann schlüg‘ ich es dem armen Thier mal vor (…)

Ich schicke allerhand Sämereien hierbey für Jenny, die mir die arme Mertens gegeben hat; – es sollen sehr seltene Arten dabey sein. — Wenn sie jetzt dieselben nicht selbst brauchen kann, so sind sie doch gut für Onkel Domprobst. Die alte Schopenhauer wünscht so sehr verschiedene Sorten Chrysanthemum oder Anthemis zu haben, und da ich weiß daß Jenny so viele Sorten hat, so habe ich gesagt, ich hoffte ihr vielleicht von Münster aus, einige Sorten verschaffen zu können: Wenn Jenny Ihre nicht mehr hat, oder nicht gut dazu kommen kann, so gibt der Domprobst vielleicht Stecklinge her; ich habe ja gesehn, daß diese Blumen sich so sehr vermehren, — daß Jenny immer viel wegwarf.

Es wäre sehr gut, wenn Jenny das könnte, denn Adele Schopenhauer ist es eben, die ihr so sehr schöne seltene Farben schenken will, d.h. mir für Jenny — Wenn Werner sich nun entschließen könnte der Mertens von den vielen Sorten Syringen die wir haben, einige junge Pflanzen zu schicken, so könnte man das Alles in einem Transport schicken; die Mertens frägt so gewaltig darnach, und hat nur drei Sorten, die gewöhnliche blaue, die dito weiße, und noch eine, wovon ich nicht erfahren kann, ob es die Chinensis oder die gewöhnliche rote ist. – Von doppelten weißen oder blauen hatte sie in ihrem Leben nichts gehört, und wir haben ja auch noch mehr Sorten, – ich glaube ja neunerlei.

Ueberhaubt hat die Mertens noch viel Mangel an Blumen im freien Lande, und Jenny könnte noch einige Zwiebeln von den hübscheren Irisarten, und allenfalls ein paar Sorten Aconith zulegen (die Mertens hat nur den gewöhnlichen blauen Poter Kopp in Nack) so würde mich das sehr freuen, wenn es aber nicht sein kann, so macht es Nichts, ich habe der Mertens noch Nichts davon gesagt, außer zu den Syringen habe ich ihr einige entfernte Hoffnung gemacht.

Mit meiner Rückreise wird es nicht so viele Schwierigkeiten haben; – wenn ich noch in den Ferien gehe, so hat sich Clemens selbst erboten, mich zurückzubringen; späterhin würde es Onkel Moritz vielleicht tun und ich habe noch von einer andern Gelegenheit, aber erst im Mai gehört; das ist mir sehr lieb, denn ich möchte jetzt meine Abreise gern nach dem Befinden der Mertens einrichten; ich habe sie so lange gepflegt, es kömmt mir vor, als dürfte ich sie jetzt auch nicht so ohne Weiteres in Stiche lassen! Ich weiß, lieb Mamachen, Du denkst darin grade wie ich (Auslassung)

Adieu Herzensmama, diesen Brief nimmt nicht Johannes mit, sondern der Professor Vogelsang, der schon Morgen abreist; die Sämereien für Jenny gebe ich aber Johannes mit und wahrscheinlich auch noch wieder Briefe. Adieu, ich küsse tausendmal Deine Hände.

Deine gehorsame Tochter Nette.

References
1 Hauderer: Lohnkutscher
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