(…) Aber nun sag mir, lieb Herz, wie lange denkst du denn in Bonn zu bleiben? Und überhaubt, wohin deinen Stab jetzt zu setzen? Nach Cassel kannst du jetzt schwerlich; die Brede ist zu nah bey Hinnenburg. Am Ende bleibst du den Winter in Bonn? Das wäre sehr vernünftig. Bonn ist höchst angenehm. Ich wette aber, du wirst dann noch gut mit Adele. Oder doch nicht, sie zieht ja ganz fort! Daran dachte ich nicht.
Hör, Sophie, du hast ein Gedächtnis wie ein Sieb, sonst hättest du dich erinnert, was ich dir über Adele gesagt: daß jedermann die Mutter lieber hat, Adele vielmehr ganz widerlich gefunden wird, auch widerlich ist, und ich sie sehr lange nicht habe ausstehen können, daß aber, wenn man sie lange und genau beide kennt, der Charakter der Mutter ebenso der Achtung unwert ist als jener der Tochter wirklich ehrwürdig erscheint.
Adele ist allerdings eitel und mitunter wirklich lächerlich, aber sie ist nicht imstande, einem Kinde wehzutun, hat keinen gemeinen Funken und ist der größten Opfer fähig, die sie auch täglich bringt, und zwar ganz ohne Prahlerei. Sie versagt sich ohne Bedenken jedes Vergnügen, worauf sie sich lange gefreut, gibt Geld her, was sie sich lange gespart, für einen Lieblingswunsch, sobald sie einem Dürftigen oder einem Freunde damit helfen kann. Sie trägt mit der rührensten Geduld, ohne ihren besten Freunden zu klagen, die Unvernunft einer Mutter, die zwar höchst angenehm sein kann, aber im Grunde gerade Dorlys Natur hat, wenn sie allein ist, vor Langeweile und übler Laune fast stirbt, trotz allem Aufheben mit ihrer Tochter nicht einen Pfifferling drum gibt, wie es ihr zumute ist, (…) die ihrer Tochter Vermögen (es gehört alles Adelen) rein verißt in Leckerbißchen und sonst zu ihrem Vergnügen verwendet, mit einer empörenden Gleichgültigkeit, da sie, wenn man ihr vor Augen stellt, daß sie Adelen an den Bettelstab bringt, ganz kalt antwortet, Adele sei beliebt, es würden sich schon Leute finden, die sie zu sich nehmen. Wie gefällt dir das?
Und Adele muckt auch nicht, sucht dies häusliche Elend auf alle Weise zu verbergen und benimmt sich überhaubt dabey wie unter tausend keiner. Das sind doch Eigenschaften, um die man wohl ein bißchen armeslige Empfindsamkeit und Eitelkeit übersehn kann, da Adele zudem so honett und anständig ist und gar nicht verliebter Natur, sondern bloß für interessant passieren will bey Damen so gut wie bey Herren, d.h. so oft sie Damen findet, wo sie glaubt, ihre schönen Reden anbringen zu können, was freylich oft fehlschlägt, öfter wie bey Herren. Glaube nicht, daß sie mich durch Liebeserklärungen bestochen. Ich begreife nicht, wie sie gegen dich dazu gekommen, denn sonst war sie dermaßen resolut mit mir, daß ich wohl von keiner Person in meinem Leben soviel Unangenehmes zu hören bekommen habe.
Die Mertens gebe ich dir gänzlich preis, sie war zwar wirklich mal angenehm, vor 12 Jahren, aber jetzt ist keine Spur mehr daran, und sie kann dir schwerlich mehr mißfallen, als sie es jetzt mir thut. Wenn du sie kennenlernst, wird es dir unmöglich sein, heraus zu finden, was so vielen, z. B. Betty, Anna, mir, daran hat gefallen können. (…)