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Die liebenswürdige Bettine …

Ich bin jetzt wieder homöopathisch, der fatale Knoten hat sich fast ganz verloren, aber dafür ist mir seit 14 Tagen das Ohr fast ganz zugeschwollen, es braust mir darin wie ein Mühlenwehr, und ich begreife jetzt wohl, weshalb taube Leute gewöhnlich so einfältig sind, ich bin auch halb simpel. Sonst bin ich diesen Winter ungewöhnlich wohl und habe gar keinen Husten. (…)

Meine gute Rüdiger schreibt fleißig, ist aber mitsamt ihrem Manne sehr mißvergnügt in Minden, und sie arbeiten aus allen Kräften, von dort wegzukommen. Ihr Haus beschreibt sie düster und melancholisch, wie einen Kerker. Es ist dasselbe, was der Erzbischof bewohnt hat, und sie meint, jetzt bedauere sie den armen Mann erst recht und fühle seine Hypochondrie ordentlich mit. Ich bekam gestern noch einen Brief von ihr, wo sie eben von einem ganz kurzen Ausflug nach Berlin rückgekehrt war. Sie hat dort Grimms besucht, die sie äußerst freundlich empfangen und sich sehr herzlich nach uns allen erkundigt haben.

Auch Bettinen hat sie aufgesucht, die fast den ganzen Besuch über nichts gethan hat als schimpfen, auf die Katholiken, die Westphalen und besonders den westphälischen Adel. Als die Rüdiger das nicht so geduldig hingenommen, sondern ihr tüchtig darauf gedient hat, hat sie endlich abgebrochen und angefangen zu prahlen, daß die Lichtfreunde sich so viele Mühe gegeben, sie an ihrer Spitze zu bekommen, sie wolle aber nicht et cet. Kurz, sie muß sich nicht besonders liebenswürdig gemacht haben. (…)

(Am Rande:)
Adele sitzt noch immer in Rom und schreibt ein Buch nach dem andern, aber keine Briefe, wenigstens mir keinen, und ich kann noch immer ihre Adresse nicht bekommen. Schückings Frau erwartet ihre zweite Niederkunft. Junkmann ist in Bonn und soll jetzt ganz gesund sein.

Die Schriftstellerin Bettina von Arnim war nach dem Tod ihres Mann Achim Anfang der 40er Jahre wieder zurück nach Berlin gezogen und unterhielt Unter den Linden einen intellektuellen Salon. Die Lichtfreunde waren ein Zusammenschluss evangelischer Christen, die sich von ihrer als reaktionär empfundenen Amtskirche abgrenzen wollten. Adele Schopenhauer lebte seit 1844 aus gesundheitlichen Gründen vorwiegend in Italien, zusammen mit ihrer Freundin Sibylle Mertens-Schaaffhausen.
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