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Das ist doch kläglich!

(…) Kinkel war (Ende September) wieder gesund und in voller Tätigkeit, seine Johanna aber hätte man steinigen mögen, weil sie den nagelneuen Streit zweyer Frauen aus geachteten und mit halb Bonn verwandten Familien auf die skandaleuseste Weise als Novellenstoff verarbeitet hatte. Die Indiscretion des Federviehs ist doch heutzutage wahrhaft scheuslich! Meine Charackteristik im „Jahrbuche“ mag auch ein rares Stückchen sein, da sich der gute Kühnast so daran geärgert hat! Sie können wohl denken, daß ich es nicht gelesen, und wahrlich keine Lust dazu habe. Bädeker hat mir das Buch geschickt, d. h. nach Hülshoff. Werner schickte mir den Brief, behielt aber das versiegelte Paket bis auf weitere Ordre zurück; dort mag es ruhn bis zum jüngsten Tage! Hier ist es gottlob eine Terra incognita, wie überhaubt alles Norddeutsche, was sich nicht durch hervorragendes Talent Bahn brechen kann.

Lieb Lies, mein Entschluß mich von allen litterarischen Bekanntschaften (außer von Ihnen) immer mehr zurückzuziehn, wird immer fester, so wie der, niemals eine Rezension oder kritischen Aufsatz zu lesen. Sie sind, bey der jetzigen Partheywuth und den überhand nehmenden persönlichen Antipathien und Sympathien immer einseitig, parteiysch und sehr häufig nicht einmahl im Einklange mit dem eignen Urteile des Schreibers, der nur seinem Freunde zuliebe versucht, ob es ihm gelingen will, irgend einigen dummen Teufeln von Nachbetern Schwarz für Weiß vorzumachen. Das ist doch kläglich! Und doch wird manches sonst gesunde Urtheil dadurch für Augenblicke confus gemacht, obwohl es nicht nachhält, und jeder doch kauft und liest, was ihn freut, und liegen läßt, was ihm, trotz allen Lobpreisungen, nicht zu Gemüthe will. (…)

Sie fragen mich, ob Sie zu einer gewissen Zeitung zurückkehren sollen? Meine Antwort kömmt so spät, daß Ihr Entschluß gewiß jetzt längst gefaßt und ausgeführt sein wird, sonst würde ich sagen: „Wenn Sie einen andern Ausweg haben, thun Sie es nicht! Doch ist nicht gar viel mehr dabey.“ Gewisse Spannungen kommen selbst mir jetzt völlig veraltet vor, wieviel mehr einem viel schwächeren Gedächtnisse, dem sie fast antediluvianisch<f>antediluvianisch: aus der Zeit vor der Sintflut{[(|fnote_end|)]} erscheinen werden, doch giebt es ein sehr starkes und feindliches Gedächtniß, das sich vielleicht diese Gelegenheit nicht würde entgehen lassen, sich über Indelikatesse, Tacktlosigkeit et cet. halbtodt zu wundern. Doch ist Ihnen vielleicht an dem Urtheile zweyer Menschen nicht viel gelegen, und über ihr Tete-a-Tete hinaus wird die Verwunderung keineswegs reichen.

Und nun adieu, mein theures teures Herz! Sollte ich Ihnen alles Liebe sagen, was mir Mama und Laßberg aufgetragen, so müsste ich wenigstens noch eine Seite Raum haben. Sie bleiben der Liebling, obwohl Ihr Mütterchen und Tante Minna auch sehr gefallen haben, Ersteres hat man noch bildschön und Beyde höchst liebenswürdig gefunden.

Adieu, lieb Lies, mit immer gleichem Herzen Ihre treue Nette.

[Am Rand] Meine schönsten Grüße an Rüdiger. Ich ende diesen Brief am Fastnachtsdienstage, und habe doch täglich daran geschrieben — Sehn Sie, wie lieb ich Sie habe!

Meersburg, 4. – 16. Februar 1847

Mit der gewissen ist wohl die „Kölnische Zeitung“ gemeint, mit den zwei Menschen Luise und Levin Schücking.
Antediluvianisch: vorsintflutlich
In Schückings Kurzbiografie der Droste, die „Charakteristik“, erschienen im Jahrbuch „Vom Rhein“, hat Annette offenbar keinen Blick geworfen.

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Annette von Droste zu Hülshoff füllt als die zujüngst gekommene die Dreizahl von glänzenden Dichtergenien, um deren Stirnen das Eichenlaub ihrer westfälischen Heimat als schönster Schmuck liegt. Die beiden andern sind Freiligrath und Grabbe. …

    Wenn man einen Band Gedichte von einer Frau zur Hand nimmt, so erwartet man gemeinhin nicht viel anderes als höchstens einen wohltuenden Eindruck von Gemütssinnigkeit, Tiefe des Gefühls, Anmut der Form, daneben aber auch wohl Ergehen in ausgefahrenen Geleisen, ein Spiel stereotyper Wendungen und Anschauungen zu finden. Bei den Gedichten von Annette von Droste aber ist der Eindruck ein ganz anderer: Hier sind erhabene Schönheiten, große Gedanken, geniale Fehler, kühne Hässlichkeiten – kurz, hier ist eine Welt für sich; hier hat ein Geist gebaut und geschaffen, der originell und eigensinnig von der Alltäglichkeit abgewendet seines Weges gegangen ist, der sich von niemandem hat Regeln geben lassen und dessen starrer Unabhängigkeitssinn lieber eigenes Unkraut auf seinen Beete zog als zivilisierte Pflanzen aus dem Samen anderer.

    So entstand der Band Gedichte, so eigentümlichen Gepräges, so gedankenschwer, so reich an neuen Bildern und Vergleichen, so mannigfaltig an neuer Wendung aller Empfindungen, so seherartig tiefsinnig, wie nie eine Frau in Deutschland dichtete; aber oft auch so sibyllenhaft wirre und unverständlich in Gedanken und Form, so sorglos abgewendet von der gewöhnlichen Denk- und Ausdrucksweise, so hartnäckig abgeschlossen gegen die Stimmen und Rufe der Zeit, wie wieder nur die Gedichte einer Frau sein können, einer Frau, die abseits vom Strom der Zeitbewegung sich auf eine stille Insel sinniger Betrachtung zurückgezogen hat. Diese Insel ist nach und nach zu der Atlantis ihrer Träume geworden; dazu hat die Dichterin sie ausgeschmückt mit jener glücklichen Anlage der Frauen, auf alle Lockung der Ferne zu entsagen und die nächste Nähe zu einer lieben trauten Heimat des Gemüts einzurichten.

    In irgendeinem abgelegenen Waldschlosse Westfalens lebend, von der äußeren Einförmigkeit der Tage auf die Beobachtung der inneren Ereignisse des Seelenlebens, der Wechsel aller Beziehungen und Verhältnisse geleitet, umgeben von den Traditionen alter patriarchalischer und glücklicher Sitte, an deren eigentümlichem Gepräge die Zeit reibt, glättet und zerstört, musste der Gedanke, der sich vor allem der Dichterin Betrachtung aufdrängte, der Gedanke der Vergänglichkeit sein. Alte wohltuende Verhältnisse des Landlebens schwinden, die Freundschaften der Jugend lockert die Zeit, die eins dahin, das andre dorthin reißt. Die Kronen uralter Eichen, die einst stolz um die feudale Herrlichkeit des väterlichen Herrnhauses mit seinen Pfefferbüchsen und Wappenschildern rauschten, wurden kahl wie das Haupt eines treuen alten Wächters; in der Dorfkirche ist nach und nach mehr als ein rautenförmiges schwarzes Sterbewappen zu den vorhandenen alten gehängt worden. Die mächtige gewölbte Ritterhalle, wo einst die Väter in dem eichenen Ehrensitz thronten und richteten und schlichteten, ist in kleine, elegant eingerichtete Zimmer verbaut, der alte Burgdonjon ist abgebrochen und an seiner Stelle steht eine kränkelnde junge Linde über den verschütteten, geheimnisvollen Verließgewölben, aus welchen die Phantasie des Kindes seine ersten Märchenschauer zog.

    In solcher Umgebung denken wir uns die Dichterin, von ihr scheint sie inspiriert, wenn sie ihre Poesien niederschreibt. Sie sieht den Verfall, den Abbruch, die Zerstörung; sie sieht nirgends dagegen den Neubau und den Ersatz; sie sieht auch die Liebe und das Gefühl schwinden und keine andre Errungenschaft an deren Stelle treten. …

    In solcher Weise geht durch die meisten dieser Gedichte eine elegische Klage über den raschen Wechsel und das Schwinden der Zeit, und überall spricht sich der Wunsch aus feszuhalten, was einmal errungen ist. So erhält der Gedankengang der Dichterin von vornherein das konservative Gepräge, das jedoch fern von aristokratisch-politischer Färbung sich lediglich in den Sphären des Gemüts und der Sitte geltend zu machen versucht. In den hierhin gehörenden Gedichten wechseln die melancholische Klage, die weiche Fürbitte für das von der Zeit Verurteilte, die ernste Mahnung und der edelste Zorn wider allen Frevel, den der melancholischen Übermut und die trostlose Lustigkeit unserer Zeit begeht, in reichster Eigentümlichkeit und Gedankenfülle ab. …

    Ihre Weise, die Natur mikroskopisch zu beobachten und bis ins genaueste Detail zu verfolgen, welche sie so oft am kleinen Raume fesselt und von der Anschauung des Gesamtbildes abhält, wird von ihr auch auf die historische Person, überhaupt auf den Menschen, den sie schildert, übertragen. Der einfache und große Grundgedanke einer Existenz geht ihr zu oft in der Betrachtung aller kleinen Nebeneigenschaften, im Gewirre des Untergeordneten und Vergänglichen verloren. Soviel sie auch das Schwinden des Respekts vor der Autorität und den Mangel an Pietät unserer Zeit beklagt, so bringt sie selbst doch nirgends ein Opfer der Pietät oder den Ausdrucks des Repekts vor irgendeiner historischen Größe; und die Vertreter der größten Gedanken der neueren Geschichte müssen vor ihr untergehen im Gewirr kleiner menschlicher Schwächen.

    Diese Art der Anschauung zeigt sich nicht allein bei der Auffassung des Einzelnen oder des individuellen Verhältnisses, sondern der Zeit im Ganzen; ihre elegisch-konservative Klage über die Zeit beweist eigentlich nichts anderes als ein großartiges Missverständnis der Zeit. Die Geschichte der Gegenwart ist der Verfasserin dieser Gedichte unbekannt, und aus den kleinen Schattenseiten, die sie beobachtete, hat sie sich ein Bild der Gegenwart zusammengesetzt, welches dieser gleicht wie der Esel dem Pferde. Von dem Wehen des öffentlichen Geistes in Deutschland abgesperrt, glaubt sie den ungeheuern Aufschwung unseres politischen Bewusstsein nicht; diese Ketzerei hat der Verbreitung ihrer Gedichte unendlich geschadet, denn wir verlangen heute stürmisch von unsern Dichtern, dass sie erfüllt seien von unsern Gedanken und dass sie mitziehen an dem großen politischen Karren, der freilich viel zu tief festgefahren sitzt, als dass man einer aristokratischen Damenhand zumuten könnte, in seine Speichen einzugreifen.

    Aber die Dichterin wird deshalb verzichten müssen, jeden Beifall der großen Menge zu gewinnen, deren Ästhetik sich nach dem Winde der literarischen Mode richtet; desto tiefer wird der Eindruck sein, den ihr sittlicher Ernst, die kristallhelle Lauterkeit ihres Wollens und die ureigentümliche Welt ihres Dichtens und Trachtens auf Menschen von poetischer Organisation machen wird.

    Auszug aus „Annette von Droste. Eine Charakteristik“. Jahrbuch Vom Rhein, Essen, 1847

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