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Schlechte Schwimmer

Zu Gutzkows Verteidigung spricht keine besondere Stimme in mir; seinen „Werner“ kenne ich nicht, sondern habe nur ein paar hübsche, aber etwas blasierte Sachen von ihm gelesen, dann mich geärgert, daß er auf so scheinbar offne und doch heimlich schlaue Weise Sch[ücking] den halb bankerotten „Telegraphen“ aufhocken und so seine eigne Pfote aus der Schlinge ziehn wollte, und dann mich vor seinem höchst fatalem Porträt im „Modejournal“ gegraut. Das alles kann gewiß noch kein Urteil veranlassen, aber doch ein Vorurtheil, und so hat mich Sch[ücking]s Beschreibung nicht überrascht.

Die „Dombausteine“ habe ich jetzt gelesen. Sie sind nicht viel wert, viel Geschrei und wenig Wolle, und mehr unbedeutende Namen darin als Zelebritäten. Ich hatte mir gedacht, jeder Namhafte würde es für eine Hundeschande halten nichts beyzusteuern, und nur kleine Leute wie ich dürften sich dies erlauben. Brauns Gedichte gehören mit zu den besten; die der Hahn-Hahn sind schlecht genug, als Poesie betrachtet, sonst freylich gescheut, wie alles was sie sagt, außer dem einen, wo sie sich ihrer eignen glänzenden poetischen Ader freut, das ist gräulich nebenher geschossen.

Ist’s nicht sonderbar, daß diese Art Täuschung so allgemein und fast unerläßlich ist? Ich glaube, jeder schlägt am Höchsten an, was ihm am schwersten geworden ist und wo er sich selbst durch einige unerwartete und ihm deshalb originell scheinende Erfolge überrascht hat, und doch ist nur ein schlechter Schwimmer so wunderbar erfreut, wenn er glücklich ans Land kömmt.

Seit 1837 gibt der Schriftsteller Karl Gutzkow (1811 bis 1878) den "Telegrafen für Deutschland" heraus, eine liberale Zeitung, für die auch Friedrich Engels, Georg Herwegh und Franz von Dingelstedt schreiben. Hier hat Levin Schücking seine ersten literarischen Schritte in die Öffentlichkeit getan. Der Kontakt führte zu zwei Rezensionen der Droste-Gedichtausgabe von 1838 im „Telegrafen“, geschrieben von Schücking und Engels. Gutzkow selbst rezensierte die Droste-Ballade „Der Geierpfiff“ positiv – an ihrer offenkundigen Abneigung gegen ihn ändert das nichts.
Als Vertreter des Jungen Deutschland gerät Gutzkow immer wieder in Konflikt mit der preußischen Obrigkeit, ihm werden Unmoral und Blasphemie vorgeworfen. Sein Schauspiel "Werner - oder: Herz und Welt" ist im Februar 1840 in Hamburg uraufgeführt worden. Ein anderes Werk von ihm kommt in der Reinschrift des Droste-Lustspiels „Perdu“ vor, wo es heißt: „,Seraphine’ von Gutzkow – auch ein verschimmeltes Brot!“ Später wird dieser Satz gestrichen.
Zu der von August Lewald herausgegebenen Buchreihe „Die Dombausteine. Von einem Vereine deutscher Dichter und Künstler. Als Beitrag zum Ausbau des Kölner Domes“ hat Schücking einen Roman geliefert, das „Stiftsfräulein“. Auch der erwähnte Joseph Braun (1818 bis 1847) ist mit einem Gedicht an den „Dombausteinen“ beteiligt, ebenso Ida Hahn-Hahn (1805 bis 1880), eine der meistgelesenen Autorinnen ihrer Zeit, der man aber aufgrund ihrer gespreizten Schreibweise und ihres elitären Habitus auch häufig mit Skepsis begegnet.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Gutzkow bat ich zu uns zu Tisch. Er kam und machte einen gräulich unangenehmen Eindruck auf mich: ein Kerl, der zugleich Genie (aber nur kritisches) und Gassenbube ist. Herzlos, eitel, neidisch, kurz gräulich. Ich bin freundlich mit ihm auseinander gekommen habe ihm aber hinreichend gezeigt, dass er mir höchst unangenehm sei, und werde nie ihm wieder begegnen auf diesem Erdenball.
    14. November 1843

  2. Er kam mir mit großer Wärme entgegen – die kühle Zurückhaltung, die bei unserer ersten Begegnung geherrscht hatt, war geschwunden, und ich sah, dass sich auch eine Gemütswärme bei ihm äußern könne, die ich ihm früher gar nicht zugetaut hatte.
    Aus: Lebenserinnerungen, 1886

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