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Dem Glücke nachschieben

Werden Sie meiner auch immer gedenken, Philippa? Auch wenn wir auf längere Zeit getrennt würden? Ich weiß, daß ich Sie nie vergessen, Ihnen immer schreiben und, wenn Sie nur nicht gar zu weit von meinem Wege verschlagen werden (etwa nach Wien, London et cet.), Sie auch immer aufsuchen und ein paar Tagereisen nicht achten werde. Ihre Liebe ist mir ein frischer, wohltätiger Strahl in meinem abnehmenden Leben; bewahren Sie mir dieselbe so getreulich, wie ich Ihnen die meinige bewahren werde, so kann es nicht fehlen, daß ein fester Wille von beiden Seiten uns auch wieder zusammenführt. …

Wie ist Ihnen alles so sehr gelungen, Handzeichnungen, Gedicht und Komposition! Ach, Sie wissen selbst noch nicht, welche Grundlage zukünftigen friedlichen Glückes Sie an Ihren Talenten besitzen, und wie sie Ihnen Ihre späteren Jahre erheitern werden! Ich bin in dem Alter, wo man schon seine Lebenserfahrungen gemacht hat, habe wenig ganz gesunde Stunden und dabey, wie alle, die nicht jung sterben, schon manchen Verlust tragen müssen; so weiß ich, was es wert ist, eine Beschäftigung zu lieben, die den Geist ausfüllt und uns weder die Freuden der Jugend noch das Konversationsgeschwätz entbehren läßt. Und Sie sind so reichlich versehen! Musik, Malerei, Poesie, zu allen dreien haben Sie entschiedenes und fast gleich großes Talent. Vernachlässigen Sie, ich bitte, keines derselben über das andere; sie sind alle nicht zu jeder Zeit anwendbar, und wer nur ein Talent besitzt, oder nur eins ausbildet, wird immer Zeiten erleben, wo ihm dasselbe seine Tröstung versagt. Z.B. Musik ist nur für ein fröhliches oder mindestens nicht angegriffenes Gemüth und macht Traurige nur noch trauriger, dann tritt die Poesie an ihre Stelle und weiß zu erheben und zu trösten. Malerei ist wohl zu allen Zeiten und in jeder Stimmung erheiternd, wenigstens zerstreuend, aber den meisten Menschen sind fast bey jedem Übelbefinden die Augen mehr oder minder angegriffen, und derartiges allgemeines Unwohlsein, ohne eigentliche Krankheit, stellt sich nur gar zu leicht ein, sooft uns etwas Unangenehmes betroffen hat, wo wir dann doch der Zerstreuung und Ablenkung unserer Gedanken grade am bedürftigsten wären.

Zürnen Sie nicht, liebe Philippa, daß ich in den dogmatischen Ton verfalle, ich habe Sie so sehr lieb, da möchte ich an Ihrem Glücke nachschieben, so gut ich es vermöchte. …

Liebe Philippa, Sie hängen in mancher Hinsicht doch an Wartensee, und es ist recht schlecht von mir, daß es mir jetzt gar nicht leid mehr wäre, wenn Sie es verlassen müßten. Aber ich kann mir nicht helfen, Sie als nahe Nachbarn oder gar im neuen Schlosse zu Meersburg ist mir ein gar zu lieber Gedanke! Wenn’s dazu käme, wie wollten wir zusammen arbeiten! Dichten, zeichnen, musizieren! Da würde in meinen alten Tagen noch etwas Ordentliches aus mir, aus bloßem Ehrgeiz, um nicht ganz dahinten zu bleiben. Es geht mir wie Ihnen, Philippa, ich habe niemanden, der mich zum Wetteifer anregt … der sich so recht für meine Arbeiten interessiert, wenigstens keinen, der sie mit mir treibt, denn Laßberg arbeitet in einer ganz andern Richtung, und meine Schwester, seit ihr Haus und Kinder zu schaffen machen, gar nicht mehr.

Die Pearsalls - Vater Robert und Tochter Philippa - hat Annette von Droste im Februar 1844 kennengelernt. Sie leben auf Schloss Wartensee, auf der Schweizer Seite des Bodensees, nachdem sich der ursprünglich geplante Kauf des Neuen Schlosses in Meersburg zerschlagen hat. Die Pearsalls und das Ehepaar Laßberg haben sich angefreundet und besuchen sich gegenseitig mehrfach. Zwischen Annette und der 27 Jahre jüngeren Philippa entwickelt sich eine enge Beziehung, die auch auf dem gemeinsamen Interesse für Literatur gründet. So liest die Droste ihrer Freundin aus ihren Werken vor und gibt ihr einen Teil des Manuskripts von Bei uns zulande zum Lesen mit nach Wartensee.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Philippa Pearsall sagt:

    Das Leben in Wartensee ist, wie Sie leicht denken können, ein geistiger Hungertod, wo man in dieser Hinsicht beinahe zur schlimmsten Not gedrängt ist, in der Leute sich gezwungen finden, ihr eigen Fleisch und Blut zu fressen. Deswegen bin ich dankbar, wenn jemand unserem Vorrate einen Beitrag bringt und es mit ein wenig Abwechslung würzt.
    Wartensee, August 1844

  2. Philippa Pearsall sagt:

    Wie kann ich Ihnen für so viel Liebe und Güte danken, wahrlich, ich finde keine Worte. Glauben Sie mir aber, dass ich Sie nie vergessen kann Und dass die Hoffnung mir teuer ist, Sie wieder zu sehen. …

    Indessen werden wir uns schreiben und sagen, was wir treiben und tun. Wenn ich etwas zeichne, das mir nur einigermaßen gelingt, werde ich es beiseite legen und denken – es ist für liebe Fräulein von Droste, wenn Sie wiederkömmt. Aber alles, was ich tue, ist so fehlerhaft – es kränkt mich sehr, dass ich nichts Besseres leiste und folglich Ihnen nichts Gutes geben kann. Bei Ihnen hingegen ist es ganz das Gegenteil. Wie schön und rührend ist doch alles, was von Ihrer Feder kömmt – so einfach und innig, dass es geraden Weges zum Herzen geht. Was Sie mir geschrieben haben werde ich ewig aufbewahren. … der Gedanke aber, Ihr Bild und etwas von Ihrer Hand ausgeschnitten zu besitzen, macht mich ganz glücklich. Ich werde Ihr Bild immer dahin hängen, wo ich arbeite, und werde mir einbilden Sie wären wirklich zugegen und in meiner Nähe. Wer weiß ob nicht aus der Einbildung einst Wirklichkeit werde?

    Ich danke Ihnen herzlich für den Rat, den Sie mir so liebevoll gegeben, ich werde ihn auch befolgen, so viel in meiner Kraft liegt. Ich glaube, das eigentliche Mittel, sich ein zufriedenes Leben zu erschaffen, ist sich irgendetwas zum Zweck und Ziel des Lebens zu geben, wie zum Beispiel eine Wissenschaft oder Kunst, mit dieser sich zu beschäftigen – sie zu erforschen und ergründen, kurz, sich ihr mit Herz und Geist widmen. Eine Kunst bringt Interesse für beinahe alle andre mit sich und so steht uns ein unendliches Feld von Genuss offen. Die Welt gibt uns weniger Sorge, denn wir fühlen, dass wir nicht von anderen abhängig sind, dass wir nicht brauchen auf andere uns verlassen zu müssen, um unser Glück zu machen und uns die Zeit kurzweilig zu vertreiben.

    Wir haben auch Besuche gehabt und da bin ich seit der Rückkunft meines Vaters nicht ans Schreiben gekommen. Ich fürchte nun, Sie werden am Ende nicht mehr in Meersburg sein. Ach! das ist doch traurig, dass Ihre liebe gute Mutter so periodisch dieses Herzklopfen bekömmt. Empfehlen Sie mich Ihr doch wohl sehr und sagen Sie ihr, wie herzlich es mich betrübt, dass sie so leiden muss, dass ich aber hoffe, dass, wenn sie nächstes Jahr wieder nach Meersburg kommt, es ganz geheilt sein möge. Und nun, liebe Freundin, leben Sie wohl, schreiben Sie mir ja und bleiben Sie mir so treulich zugetan, wie ich es Ihnen stets sein werde. Ihre Phillippa Swinnerton von Pearsall.
    Wartensee, 14. September 1844

  3. Von Philippa habe ich vor 14 Tagen einen Brief aus Augsburg bekommen, sie ist sehr glücklich bei ihrem Maler, arbeitet den ganzen Tag bei ihm, hat ein hübsches Logis mit Gärtchen, das sie sich neu anlegen wollte, und hofft, so endlich ihren langgehegten Wunsch, eine Malerin zu werden, zu erreichen.
    Meersburg, Mai 1845

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