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Mama ist eine anstrengende Patientin

(…) Wir erwarten jetzt Jenny bald zurück, Werner, mein Bruder nämlich, ist vorgestern abgereist, um sie selbst von Bökendorf abzuholen — ich fürchte nur, man wird ihn dort aufhalten, was mir eigentlich gar nicht recht war, denn Jenny ist hier höchst nötig, erstlich für ihre Blumen, die in dem kalten feuchten Wetter eher zurück als vorwärts wachsen — Mama würde sich die Haare ausreißen, wenn sie es sähe, aber sie sitzt schon seit drei Wochen in der Stube und laborirt an einer Fußwunde, die zwar nicht sehr böse ist, aber doch auch nicht ganz besser werden will, und das ist eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich Jennys Zurückkunft kaum erwarten kann, denn Mama wär längst kuriert, wenn ich nur etwas Succurs[1]Succur: Hilfe hätte, sowohl was die Unterhaltung als auch die Haus-Geschäfte betrifft, denn eigentlich ist es nur eine unbedeutende Stoßwunde, nicht tief unter dem Knie, woran sie leidet, aber denk Dir eine so lebhafte, tätige Frau, die nun den festen Glauben hat, daß alles verkehrt geht, wo sie nicht selbst dabey ist.

Ich muß zuweilen in einer Stunde 5 bis 6 Mal nach derselben Sache sehn, laufe den ganzen Tag ab und zu wie ein Webschiff und kann es doch, mit der besten Eil, selten dazu bringen, daß Mama mir nicht derweil alle Augenblick echappiert[2]echappieren: entkommen und zu meinem Schrecken draußen umher hinkt. Sobald unsrer zwei sind, hoffe ich, werden wir Mama besser ans Sitzen halten können, und dann ist das ganze Übel wohl in ein paar Tagen gehoben. (…)

Verzeih, lieber Onkel, wenn ich confus schreibe, mein Brief sieht aus wie ein Entwurf, und doch mag ich meinen Augen nicht gern zumuten ihn abzuschreiben — Du bist so ein liebes nachsichtiges Onkelchen, — nimms nicht so genau! ich bin auch wahrhaftig übel dran, ich schreibe bey Mama im Zimmer, und die gibt einem Bauern nach dem Andern Audienz, du kannst immer noch froh sein, daß nicht zuweilen statt — Stein, — Malter Hafer oder Fuder Mist steht, ich höre zwar bey weitem nicht alles was gesprochen wird, aber es geht mir wie Münchhausen bey seiner Expedition in Sibirien, als mit den Hundstagen die Kommando-Worte anfingen, aufzutauen, da rennt mir so viel verkehrtes Zeug, Worte, Silben, unverständliche Töne in den Ohren umher, daß ich mich bis aufs Blut wehren muß, um noch ein bisschen Verstand und zusammenhängende Ideen zu retten. (…)

Adieu liebster Onkel, wenn Du mir eine recht große Freude machen willst, so schreib mir doch so bald wie möglich wieder, — 1000 Liebes und Herzliches an die liebe Tante, die alte Mielke, und Guido den blonden Jüngling – Dich selbst umarmt 1000mal aufs Herzlichste

deine gehorsame und doch von Herzen liebende Nichte, Nette

References
1 Succur: Hilfe
2 echappieren: entkommen
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