(…) Sie sind also Bräutigam, und zwar einer höchst wahrscheinlich sehr guten und ganz gewiß höchst liebenswürdigen Braut, die nach Ihrer Beschreibung wirklich grade das zu besitzen scheint, was zu Ihrem innern Glück und äußeren Wohle notthut, und wonach mein Auge lange ängstlich für Sie umher gesucht hat. Nun, Gott segne Sie und gebe Ihnen alles Glück, was Ihr Herz so reichlich verdient!
Wenn meine Wünsche für Sie nur erfüllt werden, dann will ich auch nicht zanken, daß Sie meinen warmen, angstvollen Rat, wie gewöhnlich, mit aller Hochachtung beyseite geschoben und dem Schicksal den Handschuh gradezu ins Gesicht geworfen haben.
Jetzt bittet Dein Mütterchen Dich aber noch einmahl, und es ist die letzte Bitte, von deren Erfüllung noch vieles abhängen kann (nachher ist alles abgeschlossen und was Dich Schweres treffen mag, muß hoffnungslos getragen werden): heurathe nicht so leichtsinnig, wie Du Dich verlobt hast! Hat der Himmel es gnädig mit Dir gemacht, statt Deiner geprüft und gewählt und Dir in Luisen ein Kleinod gegeben, was Du wohl ahnden, aber durchaus noch nicht als echt erkennen konntest (bey Deiner Verlobung), so fordre ihn nicht zum zweiten Male heraus durch den Bau einer Häuslichkeit auf den armseligen lockern Triebsand bloß litterarischer Erfolge. Sieh Freiligrath an! Du sagst, er sei glücklich; es mag sein; soviel weiß ich aber, daß er trotz seiner Pension, die Deiner Braut Vermögen ungefähr aufwiegt, und trotz seiner Kinderlosigkeit in sehr beengter Lage ist, und alles, was Dich an ihm stört, seine veränderte Stimmung sowie die bittre seiner Frau, sind ohne Zweifel teilweise, wo nicht ganz, Folgen derselben.
Ach Levin, mir sinkt unter dem Schreiben aller Mut, wenn ich selbst fühle, wie schwach meine Stimme unter dem Jubel des Glücks und der Leidenschaft an Dein Herz rühren wird. Wär ich eine Millionärin, wie ich Deinetwegen, einzig Deinetwegen sehnlichst wünschte, so ließ ich Dich gewähren und wartete ruhig den Augenblick ab, wo der Sohn sich mit einem „mea culpa“ in die immer offnen Arme seiner Mutter flüchtete; aber meine eigne Hilflosigkeit für den schlimmsten Fall macht mir das Herz zentnerschwer. Ich bitte Dich mit gefalteten Händen: suche festen Grund, ehe Du Dein Haus baust; vergegenwärtige Dir nur einmahl recht lebhaft Deine frühere Lage, und doch hattest Du da für keine Familie zu sorgen.
Ich mag nicht mehr darüber sagen, mein letzter Brief enthält alles, was sich darüber sagen läßt, und diesen hast Du wahrscheinlich schon verworfen oder mindestens gewiß vergessen, und so wird es diesem auch gehn, und ich finde mehr Trost in dem von Dir gerühmten praktischen Sinne Deiner lieben Braut, die von selbst meine Ansichten teilen muß, als daß ich hoffte, großen Eindruck auf Dich zu machen. Du wirst es natürlich finden, daß ich mich mit dem höchsten Interesse nach dem Gegenstande Deiner Wahl erkundigt habe, jedoch ohne jemand treffen zu können, der mehr von ihr kannte als ihre Arbeiten im „Morgenblatt“; so bleiben außer Deinem Zeugnis, dem ich gern und freudig trauen will, ihre wenigen, aber gottlob höchst herzlichen und einfachen Zeilen an mich das einzige, was meiner Phantasie und den Hoffnungen für Deine Zukunft die Richtung gibt.
Sag Luisen, daß ich ihr danke, daß ich sie schon jetzt herzlich liebe und das feste Vertrauen habe, sie immer mehr zu lieben, weil sie Dich immer glücklicher machen wird. Wann und wie uns das Schicksal zusammenführen wird, weiß Gott allein; aber der hoffentlich gegenseitige lebhafte Wunsch wird die Gelegenheit schon herbeyzuführen wissen. Sag ihr, daß ich sehr viel an sie denke und ihr Bild mir so vertraut und lieb vor Augen steht, wie die vereinte Liebe eines Bräutigams und einer Mutter es nur malen können, und daß ich sie bitte, mir für das persönliche Zusammenfinden einen offnen Platz in ihrem Herzen zu bewahren, wie ich ihr mit aller Treue einen in dem meinigen bewahren werde. Du, Levin, mußt ihr bezeugen, daß dies keine leeren Worte sind, und wie wenig ich mich überall mit leeren Worten befasse. Und somit Gottes Segen über Euch beide! …
Im Merkur steht ein Artikel, wo Sie lang und breit als Verlobter einer Schriftstellerin ausposaunt werden; denken Sie also nicht, daß ich Sie so aufgeführt habe, wenn etwa Ihre Freunde Sie in dieser Art beglückwünschen. (…)
Seit vier Tagen bin ich hier – und eines jener verwunderlichen Geschöpfe, welche man „Bräutigam“ nennt! Mein Mütterchen, mein herziges, gutes, liebes, mein ewiges Mütterchen, was sagst Du dazu? Ich will Dir alles der Reihe nach erzählen! …
Da mir der Fürst schrieb, dass mein Nachfolger, Herr Löbker, demnächst eintreffen würde, ließ ich mich nicht mehr halten. Am 23sten bin ich abgereist, war anderentags in München, zwei Stunden später in Augsburg, wo ich die näheren Verhältnisse der Allgemeinen Zeitung kennenlernte. Der Redakteur en chef ist ein höchst liebenswürdiger Mann. Meine Stellung an der Zeitung würde mir anfangs aber alle Muße nehmen und mich ganz in eine mir noch fremde politische Laufbahn ziehen. Um zu sehen, ob ich’s aushalten kann, gehe ich nun wahrscheinlich auf einige Monate nach Augsburg.
In Stuttgart kam ich am 25sten an und besuchte Herrn von Cotta; er war nicht anwesend, schickte mir aber gleich nachher eine Einladung für den anderen Tag zum Diner, zu dem er auch Menzel, Hauff und einige andere Leute geladen …
(Am zweiten Pfingsttage 1843 fortgesetzt.)
Seien Sie mir nicht böse, daß ich Ihnen so fahrig und hastig schreibe – meine Hand hat das Schreiben verlernt, mein Kopf das Denken. Stellen Sie sich aber auch diesen Kontrast vor: In Mondsee lebte ich völlig wie ein Gefangener, der niemanden sieht und immer allein in seiner Zelle sitzt – und nun seit vierzehn Tagen diese ewige Aufregung durch hunderterlei Menschen und Dinge, dies Besuchen, Sprechen, Abäschern: Solange ich hier bin, werde ich täglich zu einem andern Diner gebeten und gehe in Darmstadt herum wie ein armer Student, der in sieben Häusern die Kost hat! …
Ich fahre in den Stuttgarter Erlebnissen fort; ich besuchte noch am Abend meiner Ankunft Dingelstedt, ein Mensch, so liebenswürdig, wie es ein etwas blasierter, eitler Mensch sein kann. Entsetzlich lang, nervenschwach von allerlei Abenteuern in Europas Hauptstädten und von den bitteren Angriffen der Journale, ist er recht geistreich, Vorleser des Königs mit 1500 Gulden jährlich. …
Nachdem ich drei Tage lang in Stuttgart Cotta den Brotherrn kultiviert hatte, reiste ich am 29sten ab und stand am 30sten um sechs Uhr abends vor meiner Dame, deren nähere Bekanntschaft Sie mit Folgendem machen sollen, denn ich gehe jetzt zu ihr, um diesen Brief bei ihr zu vollenden. Werden Sie nicht bange, wenn Sie hier plötzlich eine andere Handschrift erblicken, ich lasse mein Hühnchen weiter schreiben.
Ich muß Ihnen gestehen, mein liebes Fräulein, dass mir das Herz gewaltig klopft, indem ich Levin die Feder aus der Hand nehme, um mich Ihnen persönlich vorzustellen. Meine Scheu vor Ihnen ist durch seine Schilderung von Ihnen entstanden, ich wage kaum, um ein geringes Teilchen jener Liebe Sie zu bitten, wodurch Sie meinen Freund so glücklich und so stolz gemacht haben. Ich weiß nicht, was ich darum gäbe, wenn ich mir Ihre Teilnahme und Ihren Rat erringen könnte. Sie kennen meinen Levin so gut und sind ihm eine so treuliebende Freundin, dass Sie gewiss die bangen Zweifel beseitigen würden, die mich oft bestürmen, ob ich sein Herz auch für immer zu fesseln vermag. Ich würde Ihnen eine aufmerksame und gelehrige Schülerin sein, denn mein Wille ist gewiss sehr gut. Doch wage ich nicht, Sie länger zu belästigen, liebes, teures Fräulein, leben Sie recht wohl.
Ihre ergebene Louise.
Mein Hühnchen kann aus Angst nicht weiterschreiben, ich muss also fortfahren, sie setzt sich unterdessen an den Flügel und spielt mir etwas vor. Denken Sie sie sich aber nicht als ein schüchterns Backfischchen, sie ist schon siebenundzwanzig Jahre alt. Was für ein Staatsmädel sie aber ist, davon haben Sie aber gar keinen Begriff, aber auch gar keinen Begriff. Unser erstes Sehen war indessen doch im höchsten Grade peinlich. … Für mich, glaube ich, weniger, obwohl ich nicht recht wusste, wo mir der Kopf stand. Nach ein paar Stunden war ich aber rein weg, durchaus verschossen in mein Hühnchen, das nebenbei auch meine Königin ist – und das ist heilsam, denn Sie wissen, ich habe Anlage zum Tyrannen, es ist gut, wenn man mir zu imponieren versteht.
Aber im Ernst, meine Louise ist eine ganz außerordentliche Erscheinung, sie ist etwas größer als ich, stark und doch sehr schlank, höchst lebhaft und überhaupt zum Glänzen geboren. Sie zeichnet sehr hübsch, schreibt, wie Sie bereits gedruckt gelesen haben, und singt – ja, außer Ihnen habe ich noch niemand so singen hören, ganz wundervoll, und bei alledem ist sie so gut, so kindlich, so lieb, so mein treues, süßes Lieb, dass ich’s gar nicht begreife – in einigen Dingen habe ich doch rasendes Glück – wie ich in dieser Brust, die früher nie geliebt, mit dem Mosesstab die Quelle eines Gefühls habe sprudeln machen können, das mich so unmaßen glücklich macht.
Glauben Sie nicht, ich sei exaltiert: Sie wissen, das kann ich eigentlich gar nicht werden, ich weiß mit dem kältesten kritischen Bewusstsein, dass niemand wie Louise zu mir passt, da diese Mischung von äußerem Glanz der Erscheinung und tiefem dichterischen Gefühl, vereint mit vernünftigem, ruhigem Wesen, was mir Hauptsache ist, immerdar mein Ideal sein wird. Louise ist an Glänzen gewöhnt, aber sie dürstet nicht darnach, sie ist fern von jener lächerlichen Unersättlichkeit nach Eitelkeitstriumphen, welche leider jetzt so oft vorkommt. Louisens ganzer Charakter ist in großen, noblen, einfachen Zügen gezeichnet, sie ist mehr Statue als Ölbild, mehr klassisch als romantisch.
In der Familie bin ich sehr freundlich aufgenommen; ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon schrieb, dass Louisens Vater großherzoglich hessischer General war, dass er todt ist, ebenso wie ihre Mutter, und dass sie bei einem Onkel, dem Landjägermeister von Gall, wohnt. Ich bin nun zwar in der Familie erklärter Bräutigam, der alte Onkel hat uns höchst rührend seinen Segen gegeben und sich naiverweise dahin geäußert, dass er unter einem Schriftsteller sich einen weit weniger soliden und manierlichen Patron gedacht hätte, – aber eigentlich bekannt gemacht wurde die Verlobung nicht, nur dem preußischen Gesandten bin ich offiziell als Bräutigam vorgestellt. …
Nun leb wohl, mein liebes Mütterchen, wenn die Leute nach mir fragen, erzähle ihnen, dass ich verlobt sei, aber sage nicht, mit einer Schriftstellerin, das würde eine verkehrte Idee von meiner Louise geben. Ach, hätte ich doch meiner teuren verstorbenen Mutter meine Braut und meinen ersten Roman zeigen können! Nicht wahr, Du weißt, wie viel Freude ihr das gemacht haben würde!
Darmstadt, Anfang Juni 1843