(…) Nun zu der Gall; ob sie zu meiner Schwiegertochter paßt? Das könnte ganz wohl sein; schön und geistreich scheint sie wenigstens unwidersprechlich, und ich wäre sehr begierig, sie zu sehn; wo steckt sie denn jetzt? Nach Darmstadt denkt sie schwerlich so bald zurück zu kommen, da sie ihren Flügel verkauft hat. Es ist mir äußerst erfreulich, Levin, daß Sie in Ihrer jetzigen Verlassenheit einen geistigen Anhalt und Trost in ihr gefunden haben, und wenn es Gottes Wille ist, kann sie Ihnen allerdings dereinst vielleicht noch mehr werden.
Dennoch muß ich Dich bitten, liebstes Kind, sei vorsichtig mit der Feder und hüte Dich vor jedem Worte, was Dich binden könnte; die Liebe wird weder durch Schönheit noch Talent noch selbst Achtbarkeit bedingt, sondern liegt einzig in den eignen Augen und eignem Herzen, und wo diese nicht das gewiße Unbeschreibliche finden, was sie grade anspricht, da hilft alle Engelhaftigkeit nichts.
Was meinst Du, wenn Freiligrath Dir seine Franziska oder seine Frau hätte zufreien wollen? Von der Letzteren wenigstens ist er gewiß noch mehr begeistert gewesen wie von der Gall, und sie hat ebenfalls für bildschön passiert, ist geistreich, talentvoll, gut und schreibt gewiß vortreffliche Briefe. Oder gar die Bornstedt, von der Du selbst mir gesagt, sie würde ihm besser gefallen wie eine von uns andern, und er sich wahrscheinlich rasend in sie verlieben?
Ich sage dieses nicht zum Nachteil der Gall, von der ich mir das beste und liebenswürdigste Bild mache, sondern nur um Dich vor blinden Schritten zu warnen; denn sie kann vollkommen schön, überhaubt tadellos liebenswürdig sein und doch irgend einen kleinen Haken haben. Einen Zug um den Mund, Blick, Ton der Stimme, der es Dir gänzlich unmöglich macht, sie zu heuraten; dergleichen kommt ja alle Tage vor.
Übrigens ist mir Dein Verhältnis zu ihr sehr lieb, da sie schlimmstenfalls doch immer eine wertvolle Freundin bleiben muß. Aber mehr laß sie Dir um Gotteswillen vorläufig äußerlich nicht werden. Was sie Dir vielleicht jetzt schon innerlich ist, darüber habe weder ich ein Recht, noch Du selbst Macht; denn Du bist am wenigsten der Mann, der sich, einmahl verwickelt, zu einer Ehe gegen seinen Geschmack resignieren und leidlich glücklich darin leben könnte. Doch wünsche ich mir nichts Besseres und Lieberes, als daß die Gall wirklich, nach Freiligraths Ausdruck, „die rechte Kasawaika“ sein möge. (…)