(…) Von Adelen hoffe ich jetzt Nachricht zu bekommen, eine Dame aus Weimar will mir ihre Adresse in Rom verschaffen, wohin sie schon vorm Jahre der Mertens nachgezogen ist. Wie es mit ihrem Mangel an Vermögen beschaffen ist, weiß ich jetzt auch. Ihr eigentliches Vermögen ist allerdings fast hin, größtenteils schon von der Mutter aufgezehrt und nachher durch die kostspieligen Reisen nach Karlsbad (zweymahl in jedem Jahr) noch vollends herunter gebracht. Der Weimarsche Hof gab jedoch der Mutter eine Pension von 400 [Talern] und hat ihr dieselbe gelassen, jedoch beiden mit der Bedingung, sie im Lande zu verzehren; somit muß Adele, solange sie in Italien (wohin die Ärzte sie gewiß geschickt haben) bleibt, darauf verzichten und hängt dort zumeist von der Gnade der Mertens ab. Nun kömmt aber der schlimmste Punkt: Die Mertens soll in Gefahr stehn, fast ihr ganzes Vermögen zu verlieren. Jenseits des Rheins gelten noch die französischen Gesetze. Die Mertens hatte Gütergemeinschaft mit ihrem Manne, meinte aber dennoch, da fast alles von ihr herrührt (Mertens hat nur sechstausend Taler ins Geschäft gebracht), leicht die lebenslängliche Nutznießung des Ganzen zu erhalten, wenn sie im Falle des Widerspruchs den Kindern mit Enterbung drohte. Hierauf sind aber weder die Schwiegersöhne noch die Vormundschaft der Minorennen eingegangen, sie haben prozessirt, die Sache liegt zum Spruche, und es wird als bestimmt angenommen, daß die Mutter nur ein Kindsteil, also nur den siebenten Teil von dem, worauf sie gerechnet, erhalten wird. Das ist für sie nicht viel besser als der Bettelstab! Und wenn ich bedenke, daß sie in Rom „Aufsehn durch ihre Ankäufe“ gemacht hat und dieses ihr natürlich nun alles abgerechnet wird, so wird’s mir schwarz vor den Augen. An Vergleiche und halbe Gnaden von ihren Kindern, nachdem sie mit ihnen im Prozesse gelegen, ist nicht zu denken, das leidet ihr Stolz nicht.
Und was soll dann aus Adele werden? Wenn, wie meine Weimaranerin meint, man dort vorhat, ihre Pension gänzlich einzuziehn, unter dem Vorwande ihres Außerlandgehens, im Grunde aber, weil diese Verleihung vom Anfange her große Unzufriedenheit erregt, da der Hof nur eine gewiße Anzahl Pensionen gibt und andre, für die Verdienste um das Land und entscheidende Dürftigkeit sprechen, sich dadurch beeinträchtigt glaubten, so wolle man diese Gelegenheit ergreifen, um den Fehler wieder gutzumachen. Lieber Gott, was soll dann aus Adelen werden! Unterricht geben? Schriftstellern? Und dabey so kränklich! Man hört doch nichts wie Trauriges!
Über Ihre Rezension machen Sie sich übrigens keine Skrupel – die „Cölner Zeitung“ kömmt gewiß nicht nach Rom, die Mertens hielt sie sogar in Bonn nicht, weil sie von Cöln zu viele fatale Erinnerungen hat, namentlich in den Karnevalsblättern zu oft mitgenommen ist, und extra schreiben wird’s der Adele ja niemand, während man ihr gewiß die guten Rezensionen schickt, und sie sich also nur in der Strahlenkrone kennt – das geht ja immer so!
Auch von der Freiligrath sprach meine Weimaranerin, wie bildschön und anmutig sie in ihrer Blüte gewesen, und wie aufgebracht ihre Freunde, daß Freiligrath jetzt jeden soliden Erwerbszweig von sich weise, und Ida’n, samt ihrem nächstens ankommenden Kinde, den Bettelstab vorbereite.
Dann hat sie mich erschreckt durch eine Geschichte von Adelens Freundin, der Frau von Goethe (die ich Sie aber niemand mitzuteilen bitte), ein schreckliches Beispiel, wie weit Eitelkeit und eine liebesieche Natur eine Frau herunterbringen können. Ihre früheren Verhältnisse kennen Sie, wie sie, unglücklich in der Ehe, persönlich anziehend und, als Goethens Schwiegertochter mit einem strahlenden Nimbus umgeben, beständig einen Kreis von Bewunderern um sich erhielt, unter denen sie leider immer irgend einen Liebling hatte, dem sie ein – mehr oder weniger – sentimentales Verhältnis vergönnte, und schon damals sehr an ihrem Rufe litt. Wie sie nach Goethens Tode sich gar nicht darin finden konnte, dies alles zerfließen zu sehn und mit einem Male alt und von der Männerwelt unbeachtet zu sein – wie sie vergeblich hakte und angelte – vor übler Laune verging – wie sich endlich ein (nach Adelens Beschreibung) hübscher, aber höchst roher Engländer-Student ihrer auf eine schreckliche Weise erbarmte und, nachdem er sie in Schande gebracht, sie mit allen Zeichen der Verachtung verließ und geschwind eine Frau nahm – wie es ihr nicht gelang, ihren Fehltritt zu verbergen (obwohl das Kind starb) – wie die Geschichte sogar in einer Zeitung stand, ihr hierauf in Weimar der Hof verboten wurde und sich jedermann von ihr zurückzog, bis auf einige sehr treue Freunde (hierunter Adele), die sich alle Mühe gaben, sie jetzt wenigstens auf einen würdigen Weg zu bringen, aber alle Geduld verloren, wenn sie sahen, daß sie über jeden Mann, der ihre Minauderien nicht beachtete, mehr weinte als über zehn Beweise öffentlicher Mißachtung.
Nun hören Sie die Fortsetzung: In Adelens letzten Brief (ehe wir nach Meersburg gingen) stand: Ottilie sei nach (ich meine Paris) gereist, ohne ihre Tochter (Alma) mitzunehmen. Keine weitere Bemerkung, aber auch sonst kein Wort über Ottilien. Jetzt weiß ich aber, daß sie dahin einem Juden gefolgt ist mit Namen Selig, einem höchst widrigen, innerlich gemeinen Kerl, Spieler, Verschwender, der in einem Abend Tausende durchbringt, sie so in einem Jahre bis aufs Hemd ausgezogen und dann beredet hat, Alma kommen zu lassen. Alma hat nicht hin wollen, hat gesagt, es sei ihr, als wenn sie in den Tod ging; acht Tage in Paris angekommen, war sie wirklich tot, die Mutter Erbin ihrer sechzigtausend Taler, und in Weimar zweifelt niemand, daß sie zu diesem Zwecke vergiftet worden ist. Das Publikum hält die Goethe dieser Tat fähig und würde sie (wie jene Dame sagt) mit Kot und Steinen werfen, wenn sie’s wagen sollte, zurückzukommen. Die Dame selbst hat hingegen nur den Juden in Verdacht, aber im allerstärksten.
Die Söhne sollen noch immer (die Sache ist schon vorm Jahre passiert) außer sich sein, Wolf fast wahnsinnig geworden; Ottiliens neues Vermögen schon zum Teil hin. Wenn alles auf sei, werde der Jude sich aus dem Staube machen oder sie mit einem Fußtritt vor die Tür werfen, und wenn sie dann zerlumpt nach Weimar komme, ihre Kinder nicht wissen, wohin sie ihre mütterliche Schande verbergen sollten. Welche Horreurs!
Aber, um Adelens willen, sprechen Sie doch nicht davon. In Weimar mag es leider jedes Kind auf der Gasse wissen, aber hier weiß es doch niemand.
Seltsamerweise fand ich selben Tags, wo ich dies erfuhr, ein altes Journal von Anno 27, wo die Engelhaftigkeit jedes einzelnen Mitgliedes des Goetheschen Hauses (sogar seiner Frau) und ihr herrliches Verhältnis untereinander beschrieben wurde. Der Verfasser hatte sich „ganz erfrischt und neugeboren“ dadurch gefühlt. O Fata Morgana des Poetennimbus ! (…)