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Wie die Blattläuse

(…) Wir bekommen hier eine Menge Journale – die „Modezeitung“ – das „Morgenblatt“ – den „Telegraphen“ – „Vaterland“ – „Ausland“ – „Königsberger Literaturblätter“ … Wenn ich sehe, wie so alles durcheinander krabbelt, um berühmt zu werden, dann kömmt mich ein leiser Kitzel an, meine Finger auch zu bewegen. Geduld! Geduld! Aber wenn ich dann wieder sehe, wie einer kaum den Kopf über dem Wasser hat, daß schon ein anderer hinter ihm einen Zoll höher aufduckt und ihn niederdrückt; wie Heine schon ganz verschollen, Freiligrath und Gutzkow veraltet sind – kurz, die Zelebritäten sich einander auffressen und neu generieren wie Blattläuse, dann scheint mir’s besser, die Beine auf dem Sofa zu strecken und mit halbgeschlossenen Augen von Ewigkeiten zu träumen.

Mir kömmt ein stattlicher Bürger vornehmer vor wie ein verjagter und mit Kot beworfener König, und ich finde nichts kläglicher als einen cidevant berühmten Poeten, dem jetzt jeder räudige Kläffer nach den Waden fährt. Sie glauben nicht, wie’s mich ärgert, Freiligrath schon so häufig als „efemere Glanzerscheinung“, „Seifenblase, die geplatzt ist“ et cet. bezeichnen zu hören, und doch kommen diese Stimmen von allen Winden, und es ist förmlich Mode, sich von ihm loszusagen – der arme Winterkönig! Der doch gewiß gemeint hat, mit achtzig Jahren in seinem Diktator-Mantel schlafen zu gehn!

Ach, Elise, alles ist eitel! Was hilft’s mir, daß die Buchhändler meinen, auch mich kurze Zeit dem Publikum als Zugpflaster auflegen zu können, um mich nachher wie eine verbrauchte spanische Fliege beyseite zu werfen. Das „Abendblatt“ hat mir Anträge gemacht, recht vorteilhafte: „Das gewöhnliche Honorar sei zwei, höchstens drei Louisdor per Bogen, ich könne aber darüber hinauf fordern, so hoch ich wolle, die Bedingungen seien lediglich mir selbst anheim gestellt et cet“. Ferner: „Ich dürfe nicht zürnen, wenn es mich dem Publikum vorläufig als Mitarbeitern zu bezeichnen wage, und nur ein bestimmter Befehl meinerseits könne es daran verhindern“. Ich habe bis jetzt weder Zeit noch Lust gehabt, den Brief zu beantworten; vor zwanzig Jahren würde er mir den Kopf verrückt haben, jetzt sehe ich schon en perspektive den Augenblick, wo man sich meine Beiträge verbitten oder auf den geringsten Preis herabdrücken würde.

So steht mein Entschluß fester als je, nie auf den Effekt zu arbeiten, keiner beliebten Manier, keinem anderm Führer als der ewig wahren Natur durch die Windungen des Menschenherzens zu folgen, und unsre blasierte Zeit und ihre Zustände gänzlich mit dem Rücken anzusehn. Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möcht ich gelesen werden, und vielleicht gelingt’s mir, da es im Grunde so leicht ist wie Kolumbus‘ Kunststück mit dem Ei, und nur das entschlossene Opfer der Gegenwart verlangt. (…)

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Robert Schmieder, Redaktion Dresdner Abendzeitung sagt:

    Indem wir Hochderselben zwar die Stellung der Bedingungen, behufs definitiver Einigung, lediglich überlassen, offerieren wir Ihnen doch im Allgemeinen vorläufig ein Honorar von mindestens 15 Reichstaler à 1 Bogen, in der Voraussetzung, dass das der Redaktion überlassene Manuskript vor Ablauf eines Jahres, von der Zeit des Abdrucks in der „Abendzeitung“ an gerechnet, nicht anderweitig abgedruckt wird. Indem wir uns der schmeichelhaften Hoffnung hinzugeben wagen, dass Hochdies. unsre Bitte erfüllen, und uns bald geneigte beifällige Erklärung werden zukommen lassen, erlauben wir uns schon jetzt, und bis zu einer gegenteiligen Benachrichtigung, Hochd. den Mitarbeitern der „Abendzeitung“ zuzuzählen.
    Dresden, Juni 1843

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