(…) Schreiben Sie mir gleich, wie Ihnen die Gall gefallen hat; bin ich schon in Abbenburg, so wird mir der Brief doch unmittelbar nachgeschickt. Wir (Elise und ich) sind natürlich äußerst gespannt darauf, und unsre Wünsche und Gebethe werden Sie an jenem Tage begleiten. Gott gebe, daß die Gall ist, wie wir sie uns ausmalen, namentlich Elise: feurig ohne Exaltation, neben ihrem Geiste voll bon sens, und, obwohl glänzend in Gesellschaft, doch ruhig und wohltuend im häuslichen Leben.
Lieb Kind, Dein Mütterchen hat carte blanche, zu sagen, was es will, nicht wahr? So bitte ich Dich, wie ich bitten kann, suche die Gall genau zu ergründen, ehe Dein Wort und Urteil unwiederbringlich gefangen sind; es geht hier ums ganze Leben. Ich bin voll der besten Hoffnungen und so herzensfroh, daß Deine Neigung sich so ehrenvoll fixiert hat, und doch ist mir jetzt, wo die Entscheidung bevorsteht, so ängstlich und ernst zu Mute, als sollte ich selbst heurathen.
Sollte die Gall – ich hoffe es nicht, aber möglich wär‘ es, und Deine eignen Beschreibungen widersprechen dem wenigstens nicht – zu jenen Menschen gehören, denen das Bedürfnis steter Aufregung – ob sentimental oder leidenschaftlich kömmt zu einem aus – angeboren ist, so bedenk Dich zehnmal, eh‘ Du Dich bindest. Du bist ein Westfale, deshalb ein geborner Philister, und das Bedürfnis nach heitrer Ruhe ist bey Dir auf die Dauer das allervorherrschendste. Du bist zart von Nerven, deshalb auch kurzen Aufregungen sehr zugänglich, aber bald überreizt; eine derartige Frau würde Dich im ersten Vierteljahre vielleicht bis zur Vergötterung exaltieren, im zweiten und dritten bedeutend ermüden, und endlich würdest Du lieber in die erste beste Pfahlbürgerkneipe gehn, um nur mal eine ruhige ordinäre Stunde zu verleben.
Auch ihre Anforderungen an die Welt sind bey Deiner vorläufig bescheidenen Lage sehr zu prüfen; sie scheint mir glänzend erzogen und an einen bewundernden Kreis gewöhnt; dergleichen entwöhnt sich nicht leicht. Ihre Unlust an Hofbällen und der großen Welt will nichts beweisen; sehr lebhafte und dabey, wie Du selbst sagst, etwas eitle Personen, die an einen engern Zirkel, wo sie die erste Rolle spielen, gewöhnt sind, fühlen sich nie wohl, wo sie sich schmählich genieren und mit so vielen pari gehn müssen. Aber diese täglichen kleineren Zirkel im eignen Hause sind grade das Geldfressende, und ich weiß kaum, was kläglicher ist: in Schulden geraten oder jeden Mittag Wassersuppe essen, um abends die Leute mit Zuckerbrezeln bewirten zu können.
Mein gutes Herz, Du darfst mir nichts übel nehmen und begreifst die Angst Deines Mütterchens, wo ihr einziges liebes Kind auf dem Punkte steht, über seine ganze Zukunft zu entscheiden.
Beobachte die Gall zwischen Menschen, und wie sie Dir da zuerst erscheint, ehe sie sich noch ausschließlich mit Dir beschäftiget; nachher ist’s zu spät. Völlig Verliebte oder gar Verlobte sind immer einsamer Natur und möchten nur in einer Hütte unter vier Augen leben; aber das hält nicht an, und die alte angeborne Natur kömmt über kurz oder lang immer wieder durch.
Es sind noch zwei Umstände, die ich jetzt, wo Dein Geschick an einem Haare schwebt, nicht übergehn darf, magst Du meine Liebe darin nun erkennen oder verkennen. Die Gall ist protestantisch; das macht zwar mir wenigstens für ihre Person nichts aus; aber sie könnte fordern, daß ihre Kinder in gleicher Religion erzogen würden. Wär’s möglich, Levin, daß Du in einem Augenblicke der Leidenschaft oder des Leichtsinns darauf eingingst? Ich weiß, Du bist kein orthodoxer Katholik, hast es aber doch oft gegen mich und andre ausgesprochen, daß Du Deine angeborne Glaubensform bey weitem für die bessere und der Moralität zuträglichere hältst. Darum bitte ich Dich, wie ich bitten kann, Levin, gib kein solches öffentliches Zeichen einer Schwäche, die Dich in Deinen eignen und andrer Augen herabsetzen müßte. Bedenk, was Du alles für den Besitz eines Herzens aufgäbst: alle Deine hiesigen Lieben, die Du tödlich betrüben und den freien Äußerungen ihrer Zuneigung fast unübersteigliche Hindernisse in den Weg wälzen würdest.
Mein liebes, liebes Kind, Du weißt, daß dieses keine Drohung sein soll, nur ein Auffrischen des Dir wohl Bekannten, ein Erinnern an Verhältnisse, die Du vielleicht halb vergessen hast, deren Resultate aber wenigstens einer fast das Herz brechen würden.
Nun zu dem andern Punkte! Lieber Levin, Du bist leichtsinnig, oder vielmehr, wenn Du etwas lebhaft wünschest, so machst Du Dir selbst was weis und siehst, im umgekehrten Sprichwort, ein Kamel für eine Mücke an. Du bist Deiner beiden Eltern echtes Kind; ich will hiermit Deinem armen guten Vater nicht zu nahetreten, den ich vielleicht grade deshalb so lieb habe und begreife, weil ich an Dir sehe, wie man ihm in manchen Stücken ähnlich und doch großer Anhänglichkeit wert sein kann. Deshalb bitte ich, wie nur eine Mutter bitten kann, verlobe Dich, wann Du willst – heute – morgen – aber heurate nicht ohne recht festen Grund unter den Füßen, nicht auf einige hundert Gulden, die bey sparsamer Wirtschaft allenfalls für zweie ausreichen. Gott kann Dir elf Kinder geben wie meinem Bruder, und es ist nichts schrecklicher, wie Frau und Kinder darben zu sehn oder, in Schulden versunken, alle Tage erwarten, ausgepfändet zu werden; und hast Du einmahl leichtsinnig angefangen, so mußt Du, wohl oder übel, allen bittern Ernst mit durchhalten.
Auf Deine Schriftstellerei darfst Du nicht zuviel rechnen; jede Kränklichkeit kann Dich unfähig dazu machen, und grade Sorge und Niedergeschlagenheit würden diese Quelle gewiß sogleich verstopfen. Auch Dein eigentlicher Broterwerber, Dein Amt, muß sicher sein, von der Regierung oder sonst vermögenden Kräften garantiert; ich weiß nicht, ob die „Augsburger Zeitung“ dies ist, aber jedenfalls würde ich, faute de mieux[1]faute de mieux: in Ermangelung eines Besseren, hier zugreifen, wenn die Bedingungen irgend annehmlich wären; Du hast vorläufig für Dich und die nächste Zukunft zu sorgen, und diese ist jedenfalls eine Stelle, die Dich sehr ans Licht heben und eher wie jede andre den Weg zu einer wirklich genügenden Lage bahnen wird.
Nun genug hiervon, liebstes Kind, ich habe offner zu Dir gesprochen als je und hätte es schon gern im vorigen Briefe getan; aber da war ich noch äußerst matt, hatte mich an andern Dingen todmüde geschrieben und nur noch eben die Kraft, Dir zu einer Verbindung, die mir im Ganzen, aufrichtig, überaus erwünscht ist, meinen Segen zu geben. Denn, lieb Kind, ich glaubte nicht an meine Genesung und dachte, dies wäre der letzte Brief, den Dir Dein Mütterchen schreiben könnte; jetzt bin ich aber wirklich fast hergestellt. (…)
[Elise] läßt Sie herzlich grüßen und ist äußerst gespannt auf Ihre Zusammenkunft mit der Gall. Diese indirekten Mitteilungen regen sie keineswegs auf, sondern erheitern und beruhigen sie, da die Sprache in Ihren Briefen an mich durchgängig heiter, ruhig und herzlich ist, und die jetzige Wendung Ihres Schicksals sie wahrhaft freut, um so mehr, da es ihr fast vorkömmt, als habe sie die Sache gemacht, da sie schon lange von den Schriften der Gall eingenommen war – „Die Maske“ im „Morgenblatt“ – und bey Ihrer ersten flüchtigen Erwähnung derselben sich gleich in den Kopf gesetzt hatte, diese müsse Ihre Frau werden und keine andre. Kurz, lieber Levin, der Himmel hat es auch hier sehr gnädig mit Ihnen gemacht, verderben Sie nur selbst nichts! (…)
↑1 | faute de mieux: in Ermangelung eines Besseren |
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Ich schrieb Ihnen das letzte Mal, dass ich öfters die Gesellschaft besucht, ja sogar getanzt. Das bin ich schon wieder satt. Diese Menschen ertrage ich nicht, und meine schöne Zeit jammert mich, die ich so unendlich viel besser anwenden kann, wäre es nur, indem ich ein gutes Geschichtswerk lese, ja, selbst wenn ich ein Schnupftuch säume! Was hört man da? Malitiöse Bemerkungen, fade Komplimente, alberne Klatschereien. In einer großen Stadt lohnt es sich noch, in die Welt zu gehen, wäre es auch nur, um ein paar neue interessante Gesichter zu sehen und daraus Charaktere zu studieren. In einem Nest wie Darmstadt aber, wo man voraus weiß, was einem die Leute sagen werden, wo man nur „seinen Verstand in kleiner Münze ausgibt“, ohne das Mindeste dafür einzunehmen, wo das einzige Gefühl nach ein paar Soiréen geistige und körperliche Müdigkeit ist, da bleibt man besser zu Hause, wäre es auch nur, um vergeblich auf einen Brief zu warten. …
Ich würde eine gute Frau für Sie sein, Levin. Es ist leicht mit mir leben, ich bin mit allem zufrieden. Nur in einer Hinsicht mache ich ungeheure Prätensionen: Ich will sehr lieb gehabt sein. Ich bin ein verwöhntes, aber nur durch Liebe verwöhntes Kind.
An Levin Schücking, 18. Dezember 1842
Weißt Du, was ich unendlich gern täte? Das nächste Mal, wenn zwei Feiertage nacheinander kommen, wo ich mich hier oder besser in Ellingen eclipsieren kann, Tag und Nacht in Kurierstiefeln nach Darmstadt reiten, vor Deinem Hause aus dem Sattel springen, Dich heiraten und, sobald die Zeremonie vorbei, wieder aufsitzen und wie der wilde Jäger heim, dass niemand merkte, ich sei nur fortgewesen.
An Luise von Gall, Mondsee, 7. Januar 1843
Der erste Mai heute, und am letzten Februar hab‘ ich geschrieben, und noch immer keine Antwort! Sie glauben nicht, wie ich darüber in Unruhe bin; ich hätte schon längst wieder geschrieben, hätte ich nicht befürchtet, Sie wären sehr krank, und mein Brief käm‘ nicht in Ihre Hände gleich. …
Weiß Gott, es ist recht bös von Ihnen, mich hier in Mondsee ohne eine Zeile zu lassen. Denn wenn auch ein Brief verloren ist, so ist es doch so lange, daß ich schon eine Anfrage hätte bekommen können, ob er verloren sei? Nur etwas weiß ich von Ihnen. Carvacchi hat mir am ersten April geschrieben, die Frau Mertens sei da und führe alle Tage zu Ihnen. Ist sie’s in Schuld, daß Sie nicht schreiben, so steh‘ ihr Gott bei.
Am Pfingstmorgen werde ich in Frankfurt a. M. die Gall sehen …
An Annette von Droste, Mondsee, 1. Mai 1843