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Heiserkeit, Kopfweh, Todesgedanken

Seit gestern, lieber Vetter, haben sich einige Symptome bey mir eingestellt, die vielleicht bey Bestimmung der passenden Arznei Einfluss haben könnten. Ich bin nämlich, nachdem ich, wie Sie wissen, schon einige Tage Husten gehabt, gestern Abend so heiser geworden, daß ich eine Stimme habe wie der beste Bassist, — auch ein schwindelndes übelndes Kopfweh hatte ich gestern Abend, Jucken auf der Herzgrube — Brennen der Hände und einen starken Anflug von Niedergeschlagenheit und Todesgedanken — die Nacht habe ich recht angenehm aber etwas unruhig und taumlich geschlafen, — jetzt, kurz nach dem Erwachen, finde ich die Heiserkeit noch wenig vermindert — so lange ich lag, die Brust ziemlich stark gedrückt und mit Schleim verstopft, so daß der Atem etwas röchelte, seit ich aber aufgestanden, um diese Zeilen zu schreiben, hat sich die Beklemmung zum Teil, und das Rauschen des Atems ganz gelegt, aber im Oberleibe und der Herzgrube steigt ein unangenehmes Kollern und Drängen auf, ganz das Gefühl wie bey starkem Hunger den ich aber durchaus nicht habe.

Auch habe ich so eben gehört daß meine Tante Sophie häufig an einem solchen Zischen und Klopfen im Kopfe leidet, daß sie zuweilen des Nachts darüber nicht schlafen kann — oft ist es wie wenn Wasser siedete — oft wie sie sich ausdrückt, als ob sie fühlte wie das Blut durch einen Sieb aus der Stirn nach dem Hinterkopfe lief — oft glaubt sie Glocken-Geläute zu hören — oft zuckt und tuckt es ihr auch äußerlich so am Kopfe, daß sich das Kopfkissen davon bewegt — Mit der Bitte, mir diesen späten Nachtrag zu verzeihen,

Ihre Cousine und Freundin Annette Droste-Hülshoff

Entstehungszeit nicht sicher, vermuthlich 1830

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