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Heiterer Himmel

Ich muß mich gleich zu Anfang entschuldigen, liebste Tante, daß ich den Brief so voll schreibe, ich denke, mein Herzenstäntchen will lieber einen EFFECTIVEN Brief haben, als viel weißes Papier –

Ich bin vorgestern Abend glücklich, aber ermüdet hier angekommen, und habe meine lieben Eltern und Geschwister gottlob alle noch viel wohler aussehend gefunden, als ich sie verließ; Ich hatte diese Freude so nicht erwartet, da die Mutter mir in der letzten Zeit zu Cöln so viel Angst gemacht hatte (daß nun ihr Uebel keine Steinschmerzen, sondern RHEUMATISCHER Natur sei hatte ich schon von Werner in Düsseldorf erfahren also, Gefahr war nicht da, aber doch Ursache genug zur Sorge; – wer einmahl angefangen hat, über Gichtschmerzen zu klagen, der hört gewöhnlich sein ganzes Leben hindurch nicht auf, wenigstens nicht gänzlich – ) Aber die Mutter hat keine Spur davon zurückbehalten, sie ist ebenso rasch und rührig, ebenso gute Fußgängerin wie sonst, und, wo möglich, alles noch besser;

Auch der Papa sieht sehr gut aus, und die Jenny und der Ferdinand gar, sind beide auffallend stärker geworden. Ich habe überhaubt alle so zufrieden und glücklich wie möglich gefunden; Werner ganz und gar liebenswürdig, aus Freude über seine nahe Heirat; Papa ganz verklärt neben seinen Orchisbeeten, wo einige nagelneue Sorten aus der Schweiz blühen – unter uns gesagt, nichts weniger als schön; die am meisten ins Auge fallenden sind hellgelb und machen ungefähr so viel Parade wie eine Schlüsselblume, aber das ist ganz einerlei, es macht ihm die größte Freude.

Mama ebenfalls höchst aufgeräumt und angenehm beschäftigt in der neuen Einrichtung, und Jenny so zufrieden und gesund aussehend in ihren Oeconomie-Geschäften, daß ich am Ende glaube, dieses ist ihr wahres Talent. Wie man sich irren kann. Ich habe immer gedacht, sie würde weder Freude daran finden noch sich dazu schicken, weil sie viele andre Liebhabereien hat und eine fast zu große Güte besitzt.

Wenn ich dir nun noch sage, daß der Ferdinand jetzt auch von den letzten Spuren seiner früheren Schwächlichkeit befreit ist, und daß wir das Geld zu meines Bruders Einrichtung haben ohne Schaden aus dem Holze machen können, so siehst du, liebe Tante, daß dieses für den Augenblick alles mögliche ist. Will uns der Himmel noch sonst irgendein großes brillantes Glück bescheren, so haben wir gewiß nichts dagegen einzuwenden. Aber wenn es nur immer so bliebe! (…)

Nach sechsmonatigem Aufenthalt bei Onkel Werner und Tante Betty von Haxthausen in Köln kehrt Annette im April 1826 nach Hause zurück. Zu der Familienidylle, die sie hier beschreibt, tragen die Vorbereitungen für die Hochzeit ihres Bruders Werner mit Caroline von Wendt-Papenhausen am 11. Mai 1826 bei. Das Paar zieht auf das gepachtete Gut Wilkinghege, wenige Kilometer von Münster entfernt.
Annette weiß nicht, dass ihr zwei Schicksalschläge bevorstehen. Am 25. Juli 1826 - drei Monate nach dem Verfassen des vorliegenden Briefes - stirbt ihr Vater Clemens August plötzlich und unerwartet. Auch die Lebenszeit ihres lange Jahre kränkelnden Bruders Ferdinand (Fente) läuft ab - er erliegt am 15. Juni 1829 einer Lungentuberkulose.
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