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Diese fast fieberhafte Unruhe  

(…) Es geht jetzt in Münster ein, wie man sagt, sehr hübsches Gedicht auf den westfälischen Frauenverein herum, wovon man mich mit aller Gewalt zur Verfasserin machen will; ich muß mich überall mit Händen und Füßen gegen dies ungerechte Gut verteidigen und werde es zu bekommen suchen, weil doch meine Eitelkeit ein wenig dabey interessiert ist zu sehen, wessen Geistes Kind es sei. Einige legen es auch der Madame Schücking, Ihrer Cousine, zu; sollte dies so sein, so interessiert es mich doppelt, sowie alles, was von diesem herrlichen und seltenen Weibe kömmt, zu der ich eine so eigne und innige Hinneigung fühle, daß ich sie bey unsrer geringen Bekanntschaft durch ihre mannigfaltigen schönen und anziehenden Eigenschaften kaum erklären kann. Vielleicht wissen Sie mir zu sagen, ob dies anonyme Geisteskind ihr wirklich seine Existenz verdankt.

Ich muß eine Weile aufhören zu schreiben, weil ich mich in Hinsicht des anhaltenden Bückens noch ein wenig in acht nehmen muß. Ich höre soeben, daß die Lerchen sich draußen schon recht lustig machen; also in den Garten! Ich bin doch den ganzen Winter noch nicht vor die Tür gekommen.

Ich komme soeben aus dem Garten. Gott! was für ein herrliches Wetter! vor einigen Tagen noch im härtesten Winter und jetzt von der wärmsten Mailuft umweht! Die Luft ist fast schwül, und die ersten Frühlingsboten, Lerchen, Buchfinken, Spreen et. cet. machen ein Konzert, daß man fast sein eignes Wort nicht hören kann. Wenn die Wärme verhältnismäßig so zunehmen will, wie seit einigen Tagen, so werden wir noch vor Ende Februar in den Hundstagen sein.

Ich hatte, da ich noch ein kleines Mädchen war, immer die Idee, unsre Erde könne sich wohl einmahl in eine ganz andere Lage drehen, und wir dadurch unter einen wärmeren Himmelsstrich versetzt werden; diese Hoffnung erneuerte sich jedesmal, wenn das Wetter einige Tage besser war, wie es der Jahreszeit von Rechts wegen zukam. Man sollte aber jetzt von neuem in diesen Wahn fallen, da schon seit mehreren Jahren das Wetter ganz auffallende Geniestreiche macht. (…)

Ich schicke Ihnen hierbey ein kleines Gedicht, was ich vor einigen Wochen verfertigt habe; nehmen Sie es gütig auf, es mahlt den damaligen und eigentlich auch den jetzigen Zustand meiner Seele vollkommen, obschon diese fast fieberhafte Unruhe mit Verschwinden meines Übelbefindens einigermaßen sich gelegt hat.

Unruhe

Lass uns hier ein wenig ruhn am Strande
Foibos Strahlen spielen auf dem Meere
Siehst du dort der Wimpel weiße Meere
Reisge Schiffe ziehn zum Fernen Lande

Ach! wie ist's erhebend sich zu freuen
An des Ozeans Unendlichkeit
Kein Gedanke mehr an Maß und Räume
Ist, ein Ziel, gesteckt für unsre Träume
Ihn zu wähnen dürfen wir nicht scheuen
Unermesslich für die Ewigkeit. ...

Möchtest du nicht mit den wagenden Seglern
Kreisen auf dem unendlichen Plan?
O! Ich möchte wie ein Vogel fliehen
Mit hellen Wimpeln möcht ich ziehen 
Weit, o, weit, wo noch kein Fußtritt schallte
Keines Menschen Stimme wiederhallte
Noch kein Schiff durchschnitt die flücht'ge Bahn

Und noch weiter, endlos ewig neu
Mich durch fremde Schöpfungen, voll Lust
Hinzuschwingen fessellos und frei
O! das pocht, das glüht in meiner Brust.

Rastlos treibts mich um im engen Leben
Und zu Boden drücken Raum und Zeit,
Freiheit heißt der Seele banges Streben
Und im Busen tönt's Unendlichkeit!

Stille, stille, mein törichtes Herz
Willst du denn ewig vergebens dich sehnen?
Mit der der Unmöglichkeit hadernde Tränen
Ewig vergießen in fruchtlosem Schmerz?

So manche Lust kann ja die Erde geben
So liebe Freuden jeder Augenblick.
>Dort stille, Herz, dein glühendheißes Beben
es gibt des Holden ja so viel im Leben,
So süße Lust und, ach! so seltnes Glück!

Denn selten nur genießt der Mensch die Freuden,
Die ihn umglühn, sie schwinden ungefühlt.
Sei ruhig, Herz und lerne dich bescheiden.
Gibt Foibos heller Strahl dir keine Freuden,
Der freundlich schimmernd auf der Welle spielt?

Lass uns heim vom feuchten Strande kehren,
Hier zu weilen, Freund, es thut nicht wohl,
Meine Träume drücken schwer mich nieder,
Aus der Ferne klingt's wie Heimatlieder
Und die alte Unruh kehret wieder.
Lass uns heim vom feuchten Strande kehren,
Wandrer, auf den Wogen, fahret wohl!

Fesseln will man uns am eignen Herde!
Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum
Und das Herz, das kleine Klümpchen Erde,
Hat doch für die ganze Schöpfung Raum.

Hülshoff, Ende Februar 1816

Kurz nach der ersten Begegnung der Droste mit Katharina Busch heiratet diese am 17. Oktober 1813 Paulus Modestus Schücking und zieht nach Meppen. Der Kontakt bricht ab. Erst 16 Jahren später sehen sich Annette und Katharine wieder.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Über die „Unruhe“, mit der Sie mir ein so teures Geschenk gemacht haben, kann ich Ihnen in diesem Augenblick nichts sagen, weil sie schon unter meinen übrigen Heiligtümern tief im Koffer liegt. Aber das kann ich Ihnen doch von dem Eindruck, den auch dieses Gedicht von Ihnen auf mich gemacht hat, sagen, dass ich es dem Besten, was ich von Ihnen kenne, völlig gleich setze.
    Breslau, 2. April 1817

  2. Auf Annettens kindliches Gemüt machte diese Erscheinung jedoch einen so mächtig ergreifenden Eindruck und sie hat oft behauptet, daß sie in ihr gewissermaßen die Muse verehren müsse, die ihr die Himmelsfackel der Poesie angezündet habe.
    Über Katharina Schücking, in: Die Gartenlaube 16, 1868

  3. … gegen Mittag kam der Kammersekretär Kettler mit seiner Tochter Lisette und der berühmten Katharine Busch. Sie ist klein, hat dunkles Haar, ist blass und hat ein paar große starre unangenehm blaue Augen; (nach meinem Urteil) ist sie nicht interessant, nicht mal genialisch, und ein bisschen Blödigkeit würde ihr nicht schaden, sie spielt ziemlich hübsch Klavier, hat aber eine steife, klanglose Stimme … Diesen Abend spielten Nette und Mademoiselle Busch wechselweise Klavier, und wir anderen saßen teils im Kabinett, teils im Speisezimmer.
    Tagebuch vom 26. Januar 1813

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