Mein liebstes Gundelchen,
obwohl ich jetzt sehr wenig Zeit habe, muß ich Dir doch sagen, wie mich Deine lieben Briefchen gefreut haben. Du bist mein gutes, altes Gundelweible, was seine Tannette nicht vergißt, wenn sie auch eine Zeitlang von Meersburg fort ist. Aber Hildel vergißt mich auch nicht, das weiß ich wohl. Ich wollte, Ihr wärt jetzt beide bey mir in Abbenburg, da könntet Ihr recht Eure Freude haben an den vielen, vielen jungen Entchen, die hier auf dem Teiche herumschwimmen und so zahm sind, daß sie uns aus der Hand fressen, und an den ungeheuer vielen kleinen Schweinchen, die jetzt noch ganz niedlich sind und gar nicht schmutzig. Einige davon sind schneeweiß mit schwarzen Flecken, was ganz allerliebst aussieht; aber anrühren darf man sie nicht, das leiden die alten Schweine nicht. Aber es sieht sehr niedlich aus, wenn sie so springen und zusammen spielen, ebenso lustig wie junge Kätzchen.
Auch junge Hühner gibt es hier wohl hundert, und diese sind recht zahm, daß man sie in die Hand nehmen kann, sooft man will. Eine Sorte darunter heißt Stumpfhühner, weil sie niemals einen Schwanz bekommen und deshalb hinten ganz stumpf sind, was nicht besonders schön aussieht. Aus diesen mache ich mir auch am wenigsten, aber solange sie klein sind, gefallen sie mir doch nicht so ganz schlecht und würden auch Dir nicht so ganz schlecht gefallen; man braucht sich aber nicht damit abzugeben, weil man genug andre schöne Tierchen hier hat.
Dennoch wäre ich viel lieber bey Euch in Meersburg als hier, weil ich weder die Mutter hier habe, noch den Vater, noch meine lieben Gundelchen und Hildelchen. (…) aber ich komme auch wieder hin, und zwar ganz sicher, sobald im Frühlinge der Schnee fortgegangen ist und in Eurem Gärtchen auf dem Hofe die Schneeglöckchen blühn. Kommt Ihr uns dann auch entgegen bis Deißendorf?
Abbenburg, Juli/August 1845