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Unter die Nase gerieben

Wir werden jetzt, da wir allein reisen, vor der Mitte nächsten Monats nicht fortgehn. Gott gebe, daß wir jetzt nur nicht durchs Paderbörnische müssen, zu einer Rundtour bey allen Verwandten! Das würde bis zum Herbst hinhalten und ist ein fatales Hängen zwischen Himmel und Erde – überall in den allerengsten Beschlag genommen und doch nirgends heimisch und bequem, ein Reisesack die stehende Equipage und keine Minute für sich zum Arbeiten oder Ruhen …

Lieber Levin, ich besuche jetzt unsre alten Plätze am See sehr selten oder vielmehr gar nicht. Die alten Erinnerungen sind notwendig durch neue verdrängt, und da prädominieren die Figelei und der öde Stein; solche Plätze sind eben nur, was man selbst hineinlegt. Ich wollte, ich wäre in diesem Augenblicke gesund und könnte auf dem öden Stein stehen, am liebsten mit Euch. Es stürmt furchtbar, der See wirft haushohe Spritzwellen und ist von einem Farbenspiel, wie ich ihn nie gesehn, im Vordergrund tief smaragdgrün, dann eine dunkelviolette Bahn und am Horizont wie junges Buchenlaub, und alle Farben von der größten Reinheit und Bestimmtheit. Das ist nur so bey starkem Sturme mit Sonnenschein dabey und war im vorigen Herbste öfters, aber seitdem nicht wieder; Ihr habt es recht übel getroffen, keinen solchen Tag hier erlebt zu haben; dann sieht man erst, was die Landschaft sein kann.

Aber Levin ist keineswegs mein guter Junge, sondern ein kleines Pferd; was braucht er mir die schlechte Rezension jenes Schnorr oder Schorr – ich kann’s nicht recht lesen – unter die Nase zu reiben, mir, die ich nicht mal gute mit Anstand verschnupfe? Und wenn er sie nun mal zu einem Versuche heilsamer Besserung verwenden wollte, warum hat er dies nicht schon hier getan, wo er nur die gute Seite, die Aufnahme des „Grafen von Thal“, herauskehrte? Da hätte ich doch noch gegen ihn losprusten können, statt daß ich es jetzt gegen die vier Wände habe tun müssen. Ist das nicht perfide, mir die Sache anfangs als eine Ehre vorzustellen und mir hintennach, gleichsam im Postskript, zu melden, daß es eigentlich eine Blamage ist? Babah!!!

Ich wollte übrigens, ich käm erst wieder recht ans Schreiben; ich habe seit einigen Tagen enorme Lust dazu, aber durchaus keine Zeit. So lange dieser nervöse Husten anhält, darf ich nicht, weil es ihn sehr verschlimmert, und dann gehen die Vorqualen der Abreise schon an, das Packen meiner verschiedenen Kisten und die Abschiedsbesuche nach Berg, Herschberg und Wartensee, – Gaugreben, Salms und Pearsalls – nach jedem der Orte für mehrere Tage, auch noch nach Konstanz und Bischofszell. Mir wird schon im voraus schwarz vor den Augen; es ist doch traurig, daß einem überall die letzte Zeit, die man grade noch recht voll und friedlich genießen möchte, so verdorben wird. …

NB. Wenn der Druck meiner Gedichte vielleicht eher vollendet sein sollte, als wir es jetzt denken, und man Ihnen die Freiexemplare sendet, so schicken Sie dieselben nicht, bevor Sie mir geschrieben. Die meisten sollen ja doch versendet werden, und es wäre unnützes Porto, sie erst nach Rüschhaus gehn zu lassen; es wäre mir also viel lieber, wenn Sie, Levin, so gütig wären, sie direkt zu befördern; die zu verschenkenden unfrankiert, die für die kritischen Büros müssen freylich wohl frankiert werden. Wenn Sie mir ungefähr angeben könnten, was es machen wird, so schickte ich Ihnen das Nötige gern gleich; sonst müßten Sie freylich so freundlich sein, diese Auslage für mich zu machen und sie nachher vom Honorar abzuziehn. Das Honorar wünschte ich übrigens an meine Schwester nach Meersburg geschickt.

Für die Erzählung und früheren Gedichte im „Morgenblatte“ habe ich übrigens, wie ich meine, das Honorar erhalten; Sie müssen es ja wissen, Levin, es muß durch Ihre Hände gegangen sein; in die meinigen ist es zwar nicht gekommen, weil ich schon fort von Meersburg war und, wie mich dünkt, einige Auslagen damit habe decken lassen. Sollte es aber dennoch wirklich nicht eingekommen sein, so überlasse ich Ihrem eigenen Ermessen, ob ich es nachfordern kann oder nicht; ich fürchte dann, Cotta hat es seit zwei Jahren als geschenkt angesehn und mir deshalb als Entschädigung die Nibelungen geschickt; oder meinen Sie nicht?

Die erwähnte Rezension stammt von J. Scherr, der u.a. die Droste-Ballade "Der Graf von Thal" beurteilt hat.
Das Honorar für die zweite Gedichtausgabe soll nach Meersburg gehen, um damit den Kauf des Fürstenhäuschens zu finanzieren.

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Johannes Scherr sagt:

    Nachdem uns schon früher die sanfte Agnes Franz, die gedankreiche Henriette Ottenheimer und die fantasievolle Adelheid von Stolterfoth dankenswerte Liedergaben gereicht, besitzen wir gegenwärtig in Betty Paoli, Louise von Plönies und Annette Elisabeth von Droste-Hülshoff ein lyrisches Trio voll schöner Hoffnungen. Besonders die Letztgenannte, ein Mädchen noch, wie mir scheinen will, hat die Klaviatur der Lyrik, vom fromm betenden Liebesseufzer an bis zur gut erfundenen und kunstvoll durchgeführten Erzählung mit Erfolg angeschlagen. In ihrer größern Dichtung „Des Arztes Vermächtnis“ beurkundet sie eine nicht minder erfreuliche Sicherheit in objektiver Darstellung, als sich in ihren religiösen Liedern die jungfräulichste Glut der Andacht ausspricht. Wodurch sie aber oft gerade das Schönste ankältet und verzimperlicht, ist die Gesuchtheit des Ausdrucks, das Haschen nach originellen Wendungen, worin sie sich zu ihrem Schaden gefällt, wie in ihrem leider dadurch verunstalteten Gedicht „An die Welverbesserer“. Ein entschieden bedeutenderes Talent hat sie für Ballade und Romanze gezeigt, und als Beweis hiefür möge den Schlussstein dieses Briefes bilden ihr „Graf von Thal“ …
    Aus: Poeten der Jetztzeit in Briefen an eine Frau – Dichtende Frauen, Stuttgart 1844

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