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Ach, Grillen habe ich viele

(…) Auch den Walter werde ich mitbringen! Erschrecken Sie nicht! Es sind nur einzelne Stellen, etwa in jedem Gesange drei oder vier Strophen, die ich Sie nochmals anzuhören bitte. Es kömmt mir fremd an, zu sagen, daß eine meiner Arbeiten von einem meiner Freunde zu scharf beurtheilt ist; denn Freundes Urteil ist sonst nur allzu milde und hat manches gute Talent verdorben. Doch waren wir damals noch nicht bekannt miteinander, und ich wünschte, Sie könnten sich, sobald ich das Heft zur Hand nehme, denken, es sei von einem andern. Das Gedicht ist im ganzen sehr mißglückt und matt, im einzelnen aber nicht immer.

Ich arbeite jetzt nichts, gar nichts, so gern ich dran möchte; die Tage sind zu kurz und die wenigen Stunden zu besetzt; wenn ich des Morgens mich gekleidet, gefürhstückt und die Messe gehört habe, bleibt mir bis Mittag kaum Zeit genug zum Unterricht meiner kleinen Kusine; da wird Geschichte, Französisch und viel Musik getrieben, bis wir beide ganz verduselt zu Tische gehn. Nachmittags erst ein wenig spaziert, dann eine Stunde Klavier, eine Stunde Gesang nämlich, wieder Unterricht, und dann ist’s Abend, wo ich mein Zimmer verlasse und bey meiner Mutter bleibe.

Das wäre nun wohl ein gutes löbliches Tagwerk, wenn ich es aus gutem Herzen vollbrächte, dem ist aber nicht so. Jede Arbeit, die ich nicht nach eigner Lust und zu eigner Ausbildung unternehme, wird mit ebensoviel Freudigkeit und Anmut verrichtet, wie ein Ackerpferd den Pflug zieht. Wenn’s anders wäre, wär’s besser, aber es wird nicht anders, wenn ich mich auch bey beiden Ohren nehme. Zudem sehe ich keinen Nutzen bey all der Plage; meine Elevin ist ein gutartiges, fleißiges, auch nicht talentloses Kind und plagt sich ab wie ein Hündchen im Schiebkarren, ganz ohne Lust und Liebe zum Dinge, nur aus Gehorsam, weil die Eltern gesagt haben: „Du mußt was lernen.“ Aber es war ihnen nicht bedacht, nur eine gebräuchliche Redeformel. Ich weiß, daß diese Eltern nicht gerne sehen würden, wenn sie dergleichen Beschäftigungen späterhin fortsetzte; sie haben wenig Sinn dafür und eine große Haushaltung, die den Töchtern alle Hände voll gibt. Ich habe nichts gegen diese Ansicht unter diesen Umständen, nur gereut mich meine zeit und die fruchtlose Plage des armen Kindes. …

Zur Reise in die Schweiz kann ich mich nicht so recht oder vielmehr gar nicht freuen; man hört und liest viel Herrliches davon, aber ich mag fremde Länder nur durchreisend sehn. Ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dache. Wär Jenny nicht dort und ging Mama nicht mit, dieses gelobte Land möchte meinetwegen bey seinem Namensbruder in Asien wohnen.

Ich muß so vieles zurücklassen, so viel Verwandte, so manche Befreundete, alle meine Gewohnheiten und Beschäftigungen, die leider zu abweichend von der Regel sind, als daß ich sie auswärts zu produzieren wagte. Ach, ich habe mich in den letzten vier Jahren, seit ich krank war, sehr verwöhnt, wenigstens in allerlei Wunderlichkeiten zugelassen, z. B. nur eins zu erwähnen, frühstücke ich erst um halb elf, kalte Milch mit kaltem Wasser vermischt, oder mit etwas kaltem Kaffee, esse zu Mittag nichts wie Kartoffeln in der Schale mit etwas allemal kaltem Fleisch, welche Torheit! Und doch hat sich meine Natur so dran gewöhnt, daß warme Speisen mich schon nach einigen Tagen krank machen, deshalb bin ich immer unwohl in Münster; dies ist eine Grille und deren habe ich viele. Sie kennen mich noch nicht.

Doch das sind Kindereien. Habe ich mich an Narrheiten gewöhnen können, kann ich es auch an eine gesunde Lebensweise; aber mein gutes altes Hülshoff mit dem guten Volke drin, und Münster mit der Looz, Schlüters, Felitz Böselager, den drei Hämmchen! Wenn ich das alles mit aufpacken könnte, dann wär’s gut; in so vielen Wagen, als dazu gehörten, fänden dann auch die kompendiösesten meiner Sammlungen, z. B. meine Münzen, geschnittene Steine, Muscheln, noch wohl Raum, nicht wahr? Ich bin bald reif zu einer südlichen Expedition ins Schlaraffenland, ebenso erfolgreich, wie die berühmte nördliche.

Es ist gut, daß das Papier zu Ende geht, die letzte Seite enthält nichts als Humbug, wie der Engländer sagt. Meine Feder macht’s wie ich, sie thut, was ihr eben einfällt, und geht, wohin es ihr beliebt. (…)

Therese von Droste hatte den Münsteraner Philosophie-Dozenten Christoph Bernhard Schlüter bereits 1829 gebeten, das literarische Talent ihrer Tochter Annette zu fördern. Der hatte sich daraufhin den "Walter" zu Gemüte geführt - und negativ beurteilt. Das Epos war in seinem Augen "süßlich, leer, ja zum Teil affektiert". Schlüter lehnte damals ab, die Dichterin unter seine Fittiche zu nehmen. Zur ersten persönlichen Begegnung kommt es vermutlich erst Jahre später, bei einem literarischen Teekränzchen im Februar 1834 in Münster. Es entwickelt sich ein regelmäßiger Brief- und Besuchskontakt, die Droste liest dem fast erblindeten Schlüter aus ihren Werken vor. Der Professor wird zum Förderer - dabei hat er vor allem die katholisch-geistliche Dichtkunst der Droste im Blick.
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