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Schücking wird seiner Stelle keine Schande machen

(…) Ich schreibe Dir in einer höchst gedrückten Stimmung, Male, denn ich soll etwas tun und will es nun endlich auch, was mir in sich selbst überaus zuwider ist. Ich soll jemanden empfehlen, und zwar bey Deinem Bruder, nicht zu einem Amte, dazu hätten mich keine zehn Pferde gezogen, sondern zu einer Stelle als Privatsekretär, wenn (was der Himmel gebe!) noch eine solche vakant ist. Ich bin gewiß, daß Dein Bruder jetzt von allen Seiten angegangen wird, ich bin auch gewiß, daß ihm dieses ein Gefühl von Ungeduld, ja selbst Mißachtung geben muß, und Du fühlst, wie schwer es mir wird, mich einem Manne gegenüber, den ich achte, selber so zu stellen. Doch – ich kann nicht anders. Abschlagen wäre hier meinerseits der grausamste Egoismus.

Wie wenig mich persönliche Neigung hierbey treibt, weißt Du sogleich, wenn ich Dir sage, daß Levin Schücking das hier in Rede stehende Subjekt ist. Seine Lage ist in diesem Augenblicke um vieles verschlimmert worden, da ihm, nachdem er sich mehrere Jahre mit dem preußischen Landrechte gequält, der Eintritt in preußische Dienste abgeschlagen worden, weil er ein Ausländer (Hannoveraner) ist. Es war eine Torheit von ihm, des Andenkens seines schlechten, nach Amerika ausgewanderten Vaters halber, nicht in seinem Geburtslande dienen zu wollen; aber er büßt sie doch zu schwer und ist ganz ratlos.

Wie seine Persönlichkeit ist, kannst Du in einigen meiner früheren Briefe nachlesen, wo ich gesagt habe, wie leid es mir sei, für einen Menschen, der im Grunde so vortreffliche Eigenschaften habe, und den alle seine Freunde so sehr liebten, durchaus kein eigentliches Wohlwollen fassen zu können, weil das Eitle und Zuversichtliche in seinem Wesen mich immer wieder zurückstoße, wenn das Erfahren einer recht noblen und ehrenwerten Handlung von ihm mich auch noch so günstig gestimmt habe. Ich habe Dir gesagt, wie hoch alle seine ehmaligen Mitschüler und Universitätsfreunde seine Kenntnisse anschlagen (ob juristische oder sonstige, weiß ich zwar wirklich nicht und habe in diesem Augenblicke kein Gelegenheit, mich darnach zu erkundigen), wie die Strengsten seine Moralität rühmen, wie vortrefflich er sich gegen seine unglückliche Mutter benommen hat, und wie er noch jetzt, wo er vom Unterreicht in der englischen und französischen Sprache leben muß, sich jeden Heller abdarbt, um seine kleinen Geschwister zu unterstützen. Daß er, trotz einem kleinem Anstriche von einem Gecken, einen scharfen klaren Verstand hat und trotzdem, daß man ihn nach seinem zierlichen Äußern für einen für einen gebornen Courmacher halten sollte, doch im Grunde niemand in der Welt weniger daran denkt, habe ich Dir auch schon früher gesagt. Kurz, ich habe Dir eigentlich alles Nötige schon gesagt und bin froh darüber.

Tue mir die Liebe, Male, und schreib Deinem Bruder darüber, aber gleich auf der Stelle, denn solchen Plätzen geht es wie reichen Bräuten: man muß früh bey der Hand sein. Hörst Du! Tu mir die Liebe und schreib sogleich, noch diesen Abend. Schreib alles, was ich Dir jetzt und auch schon früher geschrieben habe; Du weißt, es ist dasselbe, und ich habe es jetzt nurmehr zusammengedrängt, zur bessern Übersicht. Du hilfst vielleicht einem Menschen zu einer kleinen Versorgung, der jeden erübrigten Groschen auf eine Art anwenden wird, die man achten muß.

Zur Sekretärstelle macht ihn vorzüglich fähig eine gute Handschrift, seine Fertigkeit in der englischen und französischen Sprache, seine Rechtlichkeit und, obwohl er über Kunstgegenstände et cet. oft lauter wird als es mir gefällt, doch übrigens eine Verschwiegenheit, die fast an Verschlossenheit grenzt.

Hat er nun wirklich die bedeutenden Kenntnisse, die ihm allgemein zugeschrieben werden, so könnte es ja auch wohl kommen, daß er späterhin zu etwas Besserem tauglich gefunden würde; wo nicht, nun, so ist er doch wenigstens aus der Not und wird seiner Stelle keine Schande machen. Das bißchen hochmütige Wesen wird sich unter Deines Bruders Augen in der schnellsten Schnelligkeit verlieren, des bin ich gewiß! Wahrscheinlich kömmt er gar nicht damit zum Vorschein, doch mußt Du diese Schattenseite auch anführen, denn ich mag mit keiner Art Hehlerei zu tun haben, was übrigens auch beym Ludwig vergebens wäre, dessen Augen wohl finden können, was auch nicht vor den Tag kömmt.

Schreib doch gleich, es ängstigt mich, daß während dem Hin- und Herschreiben die Stelle besetzt werden könnte, und es wäre viel vernünftiger von mir gewesen, wenn ich dem Ludwig gradezu selber geschrieben hätte, aber einmahl konnte ich mich nicht dazu entschließen, und dann meinte ich auch, es müsse ihm unangenehm sein, mir etwas persönlich abzuschlagen, was er mir gewiß ungern abschlägt.

Wenn es nötig ist, noch etwas von Schückings nähere Verhältnissen zu sagen, diese sind so: sein Vater war Amtmann in den kleinen hannöverschen Städtchen Sögel an der Münsterischen Grenze, ein schlechter Wirt und noch schlechterer Ehemann. Levin war der älteste von mehreren Kindern und seiner sehr braven Mutter einziger Trost, für die er tat, was er konnte und auf der Universität sich alles abdarbte, um ihr heimlich wieder ein paar Notpfennige zustecken zu können. Nachdem nun der Vater die Mutter reichlich totgeärgert und an ihrem Sarge noch empörende Komödie von Zärtlichkeit gespielt hatte, nahm er gleich wieder eine andere Frau, von der er, wie ich glaube, auch noch zwei Kinder bekam. Da brach aber alles zusammen. Der Vater wurde als mutwilliger Verschwender seines Amtes entsetzt und ging nach Amerika, die Frau kehrte zu den Ihrigen, die Kinder wurden bey Verwandten untergebracht, und Levin, dem zum Doktorexamen das Geld und, wie ich meine, auch noch etwas an der vorgeschriebenen Studienzeit fehlte, kam nach Münster, um sich dort durch Unterricht das Nötige zusammenzusparen. Dies aber hat ihm bis jetzt nicht gelingen wollen, da es hier so viele französische Sprachmeister gibt und zum Englischen fast niemand Lust hat, auch seine Geschwister, die, bey selbst unbemittelten Leuten untergebracht, sehr kümmerlich gehalten werden, ihm zuviel von seinem Erwerb hinnehmen.

Dies ist nun Schückings kurze und betrübte Geschichte. Daß er Katholik ist, habe ich noch vergessen zu sagen, und daß er seit zwei Jahren hier und dort in den Journalen aufgetaucht ist, was vielleicht Deinem Bruder einen ungünstigen Eindruck machen wird, da man nun mal dergleichen für untergeordnete Geschäftsleute nicht liebt; doch muß man ihm die Tendenz seiner sehr gut aufgenommenen Aufsätze (im „Telegraphen“ et cet.) wieder zugunsten reden, da er als offner Gegner des religiösen und politischen Liberalismus gegen Gutzkow und Konsorten zu Felde gezogen ist. (…)

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Meine Wiege hatte, zwar nicht neben einem Webstuhl, aber neben einem königlich hannoverschen Amtstisch gestanden – mein allerengstes Vaterland war ein Stück des alten Münsterlandes, welches bei der großen Teilung an Aremberg, dann an Hannover gefallen. So wurde der arme deutsche Jüngling in seinem „engeren Vaterland“, dem preußischen Münsterland, wohin er sich nach den Universitätsjahren gewendet, mit Hinweisung auf sein engstes Vaterland als „Ausländer“ betrachtet und von den Stufen zum Tempel der Themis zurückgewiesen. Ein blaues Kabinettsschreiben weiland seiner Majestät Friedrich Wilhelms III. wies mich ab. Was war zu machen? Ich musste die Jurisprudenz ihrem Schicksal überlassen – was ich freilich mit ruhigem Gewissen tun konnte, denn unser Herzensbündnis war nie über die Grenze einer gewissen kühlen Hochachtung hinausgegangen, wie bei jungen Leuten, die man zu früh miteinander verlobt hat.
    Aus: Annette von Droste. Ein Lebensbild. 1862

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