Site Overlay

Der einzige, der mir helfen kann

Seit ich zuerst deinen, und dann der lieben Mama Brief erhielt, hat es mir wie ein Stein auf dem Herzen gelegen, daß ich antworten müste, und habe es doch nicht gekonnt, denn ich bin tüchtig krank gewesen und hatte noch dazu meinen Homöopathen nicht, der auf längere Zeit verreißt war. Jetzt ist er seit 14 Tagen da, und sein erstes Pulver hat mir wieder wunderbar gut gethan. Gestern habe ich das zweyte genommen, was mich tüchtig angreift, ich denke, desto besser wirkt es nachher!

Liebe Jenny! Du schmähst mich so aus, und es war doch wirklich nicht unvernünftig, daß ich hier blieb, da ich recht gut fühlte, was mir in den Gliedern lag. Glaub nur, ich habe eine tüchtige Tour abgemacht in diesen fünf Wochen, fast so arg wie damals (anno 29) in Münster, und was hätte ich nun ohne Bönninghausen anfangen sollen, da ich schon so unglücklich darüber war, daß ich ihn nicht gleich haben konnte!

Dies ist das erste Mahl daß ich einen so starken Anfall so mutterseelen allein abgemacht habe, und es ist doch auch gegangen! Bönninghausen ist doch der Einzige der mir helfen kann. Gleich nach dem einen Pulver habe ich das Fieberhafte ganz verloren und Apetit und Schlaf bekommen. Wäre ich nur den Schleim aus dem Halse los und könnte wieder gehen, dann wäre ich hergestellt. Ich zweifle aber nicht, daß das auch bald nachkommen wird.

Die Ruhe thut auch viel! Du glaubst nicht, wie still ich hier lebe. Niemand weiß recht, ob ich hier oder in Hülshoff bin, und so bleibe ich ganz ungestört, was mir sehr recht ist, denn wenn man krank ist, kann man sich nicht damit abracken die Honneurs zu machen.

Die Hülshoffer Kinder waren einmahl hier, öfter nicht, denn ich habe ihnen alle meine Stachelbeeren nach und nach geschickt. Werner war zweymahl zu Wagen hier, gestern das letzte Mahl. Er war sehr freundlich und sah gut aus. Wegen seines Knies geben die Ärzte die beste Hoffnung, und auch Joseph Droste hat zur Luise Stapel gesagt, diese spanische FliegenCur sei die einzige durchgreifende für diesen Fall, und wenn sie anfange sich wirksam zu erzeigen, so helfe sie auch ganz und für immer. Nun ist Werner offenbar schon um Vieles besser, obwohl ich ihn mir freylich schon gelenkiger gedacht hatte, als ich ihn gestern fand; aber er muß noch immer den Fuß an einigen Stellen offen halten, so thut es ihm noch weh, wenn er resolut auftritt, und dies soll er auch nicht, sondern ihn schonen; so weiß er denn selbst nicht recht, wie es mit seinen Kräften und seiner Gelenkigkeit steht; aber sehr viel besser wie früher, das fühlt er doch deutlich. In ein Bad gieng er gern, und hat die Aerzte schon mehrmahls darum befragt, aber sie wollen es Alle nicht, der Eine so wenig wie der Andre. Uebrigens ist es auch nicht die Gicht, die den Zustand des Knies verursacht (obwohl sich auch diese dazu geworfen hat), sondern die Kniescheibe ist ihm durch den Fall locker geworden, und es hat sich Wasser dazwischen gesetzt, weshalb sie sich nicht wieder anlegen kann, und eben dieses Wasser wird durch die Fliegenpflaster herausgezogen.

Sobald ich besser bin, gehe ich zu ihm; meine Gesellschaft braucht er freylich nicht mehr, denn er wird von Besuchen überschwemmt, aber ich kann ihm doch zur Hand gehn, da er sich gewiß noch eine gute Weile wird schonen müssen; denn wenn alles Wasser auch fort ist, muß die Kniescheibe doch erst wieder fest werden, ehe er den Fuß brauchen darf wie vorher. Er reitet jetzt täglich und fühlt sich seitdem sonst wohl. (…)

In die Hände des Homöopathen Clemens von Bönninghausen hat sich Annette erstmals im Winter 1829/30 begeben - mit nachhaltigem Erfolg.
Die Spanische Fliege ist eine Käferart aus Südeuropa, deren getrocknete Flügel zu dieser Zeit als Zugpflaster verwendet werden.

Kommentare im Kontext dieses Briefes

  1. Clemens Maria von Bönninghausen sagt:

    Zu den angenehmsten Erinnerungen aus unserer ärztlichen Laufbahn gehört die der reichbegabten und vielgefeierten Dichterin Annette v. Droste-Hülshoff. Sie war unsere allererste Patientin im Winter 1828/29, indem sie von ihrem bisherigen und unserem früheren Arzte, de, M.R. Dr. B., der in ihrem schwindsuchtartigen Zustande keine Hülfe mehr zu schaffen wusste, an uns verwiesen wurde, nachdem wir unsere eigene Herstellung entschieden der Homöopathie zuschrieben. Nach langer, vergeblicher Ablehnung bedurfte es zweier vollen Tage des angestrengtesten Studiums, um das passenste Mittel (N. vom) aufzufinden; aber dafür war auch der Erfolg so überraschend günstig, dass sie seitdem der Homöopathie unverbrüchlich treu blieb, bis sie im Jahre 1847 auf ihrer Villa bei Konstanz am Bodensee von einer, uns nicht näher bekannt gewordenen Krankheit ergriffen, unter fremden Händen starb.
    Aus: Die Aphorismen des Hippokrates nebst Glossen eines Homöopathen, 1863
    Beim Todesjahr irrt Bönninghausen – Annette stirbt im Jahr 1848.

Copyright © 2024 Nach 100 Jahren. All Rights Reserved. |  by John Doe