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Ich frisiere an einer geistigen Schwanzperücke

(…) Von Schlüterchen habe ich vorgestern einen sehr herzlich gemeinten, aber grausam hölzernen scherzhaften Brief in Versen bekommen. Es ist komisch-rührend, auf diesem Meere von Güte und wahrer Kindlichkeit den Philisterzopf so stattlich herumsegeln zu sehn! Die lieben Leutchen denken, ich sei sterbenskrank, weil ich, meiner noch immer hartnäckigen Geschwulst im Ohre wegen, nicht ausgehen kann, und wollen mich nun mit auserlesenen attischen Scherzen erheitern. Ich habe noch nicht darauf geantwortet, will aber nächstens daran und frisiere schon an einer geistigen Schwanzperücke.(…)

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Wieder ist ein Winter vergangen, wo Sie zu haben sind, doch war nichts von Ihnen zu haben. Im Sommer sind Sie in der Schweiz und ist ganz und gar nichts von Ihnen zu haben. Sie aber in der Kühle wie in der Schwüle huldigen der Feder, ziehen vom Leder, wie ein Hahn vom Wiehme, mit Ungestüme, zu gebieten sämtlichem Federvieh, welches schreibt; das sind Sie! Freilich ist Tinte besser als Blut, ein Tintenfass besser als ein Herz; aus jenem schreibt man für die Ewigkeit (!), aus diesem nur für die Zeit (!).

    Keine Briefe, keinen Brief, kein Briefchen, keine Zeile, kein Zeilchen konnte der Haushalt wie diesen Winter missen; selbst das, welches einst der Papst an einen Missionar als Antwort schrieb, ward mir nicht schriftlich zuteil, sondern nur mimisch; ein Strich und sogar ein Pünktchen dazu hätte einen zu großen Tintenaufwand erfordert. Oh Frauenherzen! O TEMPI PASSATI, als ich von Ihnen Briefe erhielt, woraus Jungmann anderthalb Stunden vorzulesen hatte, z. B. einmal, als wir bei zehn Grad Kälte zwischen zwölf und zwei auf Maurizheide auf und ab spazierten.

    Gedenken Sie noch der beiden jugendlichen Porträts in den Kästchen, wovon Sie schrieben und worüber Sie Betrachtungen anstellten. Oh wie eitel ist alles! Wie schießen die Schifflein dahin! Auch die Freundschaft ist Eitelkeit, Wind, nichts als Wind! Der Frühling wird kommen, ist vielmehr schon gekommen; ich werde keine Knospen vom Gewürzbäumchen bekommen, ich werde keine Veilchen bekommen, keine Zeile, keinen Gruß!!!

    Das Fräulein ist für mich zerstoben und verflogen, existiert für mich gar nicht mehr; ein Porträt von ihr, wie es ehmals war, ist noch vorhanden; aber das Herz, die Gefühle, das freundliche Angedenken, die freundliche Güte mochte sie lenken zu anderm Gebiete: mir blieb eine Niete. Das Herz ist gewandert, hat mäandert, ist gänzlich verändert. Fräulein, Fräulein, Fräulein! Ungetreues Fräulein, wankelmütiges Fräulein, unbeständiges Fräulein, unartiges Fräulein, böses Fräulein, abscheuliches Fräulein! Ganz und gar nichts mehr aus Ihnen macht sich und einmal für immer Sie gründlich zu vergessen sucht ehemals Ihr Freund und Diener
    C. SCHLÜTER.
    Münster, 23. März 1846

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