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Mein gepreßtes Herz

Uebrigens bin ich innerlich – (o Anna, ich bitte, verstehe mich diesmal recht) sehr gefaßt; man hält meine Zurückgezogenheit wahrscheinlich für Stolz unter meinen Bekannten, denn sie sind fast sämtlich schüchtern und demütig gegen mich geworden, aber mir desto ergebener. Ach Gott, wenn sie einmahl in mein gepresstes Herz sehen könnten, sie würden mich nicht mehr lieben.

Liebe Anna, ich will Dir eine böse Richtung meines Charakters nicht verderben – sieh, so wie ich strenger gegen mich werde, werde ich es auch gegen andere – ich komme mir unwillkürlich und unabänderlich vor, wie ein strenger, unglücklicher Richter, der die härteste, nagenste Strafe seiner eigenen Fehler in der unerbittlichen Bestrafung ähnlicher an anderen finden muß; ich fahre großen erwachsenen Leuten mit der ungeheursten Kühnheit über den Kopf, sobald sie eine verderbliche Seite des Charakters zeigen – daß sie sich noch jedesmal danach geändert haben, ist gut, aber ungeheuer drückend, daß sie seitdem eine besondere Verehrung für mich zu haben scheinen – ich wollte, sie merkten es, daß man nur aus Erfahrung so gut über eine Sache sprechen kann.

Ich habe diesen Winter ein ganzes Buch geistlicher Lieder geschrieben, von denen die der Mutter geschickten nur eine kleine veränderte Auswahl sind. Du hast recht, sie sind für mich selber gemacht, und du wirst nicht denken, für wen noch mehr? – für meine Mutter. Sie sind zu einer Zeit geschrieben, wo ich durch die mir überall bewiesene Liebe und Hochachtung noch unendlich niedergedrückter war, wie jetzt, wo ich mich ermutigt habe, auch diese gewiß schwere Prüfung mit Kraft zu tragen.

Der Zustand meines ganzen Gemüthes, mein zerrissenes schuldbeladenes Bewußtsein liegt offen darin dargelegt, doch ohne ihre Gründe – und ich wollte geradezu versuchen, wie viel ein mütterliches Herz verzeihen kann, oder vielmehr, mir meine Strafe holen; ich hatte es mit einer Vorrede versehen, die auf all dies vorbereitete. Mama las dieselbe sehr aufmerksam und bewegt durch, legte dann das Buch in ihren Schrank, ohne es weiter anzurühren, wo ich es acht Tage liegen ließ und dann wieder fortnahm – sie hat auch nie wieder danach gefragt, und so ist es wieder mein geheimes Eigenthum. – Daß ich es meiner Mutter gab, war unrecht; ich habe kein Recht, die Meinigen zu betrüben, um mir einen Druck zu ersparen.

Denke du nun auch nicht schlechter von mir, weil dieser Brief zuweilen etwas bitter ist, denke nur, daß ich meine augenblicklichen Empfindungen auch ganz ohne die mindeste Linderung und Beschönigung niedergeschrieben habe, wie es vielleicht in dem Grade noch nie jemand getan hat – ich will es dir gestehen, wahrhaftig, liebe Anna, mit dem gerührtesten Herzen, daß ich in allen meinen Leiden mir schon zuweilen mit Gottes Gnade Augenblicke des Friedens gewonnen habe, wie ich sie in Jahren nicht mehr kannte.

Hülshoff, etwa März 1821

1 Kommentar im Kontext dieses Briefes

  1. Anna von Haxthausen sagt:

    Lieber Straube, nein, ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn Nette Ihnen schreibt. Wär‘ sie schon fest in ihrer Besserung, ja dann würde es mich selbst erfreuen. Aber sie ist noch ein zartes Pflänzchen, das wir pflegen müssen, und so fürchte ich, dass es nicht gut wäre, wenn sie [die Droste] glauben könnte, sich mit Ihnen versöhnt zu haben [getilgt: die große Schuld, die sie gegen Sie hat]. [Die Droste] muss zu ihrer Buße noch oft den Vorwurf in sich fühlen, wie schlecht sie gegen Sie gehandelt hat – glaubt sie aber sich gegen Sie gerechtfertigt, oder auch nur ganz Verzeihung, dann möchte sie am Ende auch glauben, gegen den Himmel nichts mehr verbrochen zu haben und wie kann sie das?
    Etwa 20. Dezember 1820
    (Brief an Heinrich Straube)

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