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Welches Ende nimmt’s mit Freiligrath?

(…) Mit der Rezension bin ich sehr zufrieden; mehr wie zufrieden; überrascht und geblendet, da ich sie, nach den vorläufigen Andeutungen meiner Mutter, für beynahe schlimm halten mußte. Was kann ich mehr erwarten! Das Lob schwimmt ja durchaus oben, und der wenige saure Bodensatz ist ja so milde eingeschmuggelt, daß ich immer denken, Zedlitzens Bekanntschaft mit Schückings hat auch eben nicht geschadet.

Die Proben sind zwar allerdings weder glücklich gewählt noch glücklich ans Licht gebracht. In der ersten („An die Schriftstellerinnen“) fehlt einmahl (4te Strophe) eine ganze Zeile, und zuletzt wird die „Gattin“ einer sehr wunderliche „Göttin“. Aber das ist ein Malheur und keine Schuld.

Über Freiligrath geht’s arg her, zwar nicht ärger als er verdient, aber dennoch dauert er mich. Ehrgeizig und dabey ohne Takt und innere Bildung, wie er einmahl ist, haben sie ihn erst durch jede Art von Hohn und Herabsetzung halb toll gemacht, und nun er ihren Willen thut, schlagen sie erst recht auf ihn los. Wenn ich denke, wie ihm zumute sein mag – arm, mit einer kranken Frau, von den alten Freunden verlassen, von den neuen fast zurückgestoßen – es würde mich nicht wundern, wenn er aus Desperation sein altes Schlaraffenleben wieder anfing und endlich als Bettelbriefschreiber endigte. … Vom bloßen Dichten kann auf die Dauer niemand leben – zur Prosa gehören Vielseitigkeit, natürlicher Stil und Kenntnisse, drei Dinge die Fr[eiligrath] alle gleich sehr fehlen, und zu irgendeinem literarischen Amte, z.B. Redaktion et cet., soll er ja gänzlich unfähig sein.

Es steht eben kein Glücksstern über den Detmolder Poeten, und ich muß mit Betrübnis und einem Art Schaudern an Freiligraths Mahnruf an Grabbe denken, den er so recht im Glanze seines Glücks und seiner Protektormacht schrieb. Lieber Gott! wenn ihm damals jemand gesagt hätte: „Nach 4-5 Jahren prophezeit man dir ein ähnliches Ende, und du füchtest es vielleicht selbst insgeheim!“

Schückings Verteidigungsrede ist ungemein schwach, doppelt schwach durch den Mangel an Überzeugung und die Gene seiner Stellung als Redakteur eines durchaus andere Grundsätze zeichenden Blattes. Dennoch freut es mich, daß er sie geschrieben hat. Es war eine Art Opfer, das man ihm einerseits tadeln und andrerseits gewiß nicht danken wird, und seine Frau wenigstens ist viel zu klug, um dies nicht voraus gesehn zu haben. So kömmt mal wieder reine Gutmütigkeit und Hangen an einer alten Erinnerung zum Vorschein. Aber ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß Sch[ücking] als „ein Jugendfreund“ Freiligraths bezeichnet wird? Sie waren doch wahrlich keine Kinder mehr, als sie sich kennenlernten, und doch wird jene Zeit, die mir nahe wie gestern scheint, als eine „alte“, eine vergangene „Jugendepoche“ bezeichnet. Lieber Gott! wie die Zeit rennt! (…)

Die erwähnte Rezension von Joseph Christian von Zedlitz ist am 26. November 1844 in der Allgemeinen Zeitung Augsburg erschienen, bei der Zedlitz als Korrespondent tätig ist. „Schückings Verteidigungsrede“ - eine Rezension über Freiligrath – ist in derselben Ausgabe der Allgemeinen Zeitung veröffentlicht.
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