Site Overlay

Sie könnte Levin gefährlich werden

(…) Nun aber, mein klein Herz, Sie sind mir böse gewesen? Das hat mich hintennach recht erschreckt. Lieber Gott! Ich bin so ungeschickt, so wenig gemacht, mit einem so zarten Wesen wie Sie zu verkehren, daß ich mich selbst prügeln möchte, wenn ich mich nur klüger damit schlüg.

Mein lieb Tierchen, wenn ich dergleichen wie neulich sage, dann ist’s, aufrichtig gestanden, auch nur Eifersucht. Meine Liebe ist eben so empfindlich und viel tyrannischer als die Ihrige, ich möchte Sie gern sehr an mich reißen, und wenn mir dann einfällt, wieviel tiefer in der Natur gegründet andere Ansprüche sind, wie ich mir vernünftigerweise gar nicht einbilden darf, ihnen die Waage zu halten, dann kann mich momentan eine unmutige Trauer überkommen, die Sie mir nicht zu streng anrechnen dürfen. Hätte ich Sie nicht so lieb, dann passierte es mir nicht. Sie wissen gar nicht was Sie mir sind, Elise! (…)

Was Sie von der Bornst[edt] schreiben, ist wahrhaft furchtbar; ich meine von wegen des Wiederkommens. Ich kann es mir nicht denken; sie geht ja überall besser hin. Überall, wo man von ihrer manquierten Heurat nichts weiß und sie nicht mit zwei Dritteln der Gesellschaft broulliert ist. Unter diesen Umständen nach Münster zu kehren, würde weit über die Kräfte meiner christlichen Demut gehn, und der ihrigen traue ich eben auch nicht mehr zu. Sie meinen, ihr Nikolaus belüge sie? Ich glaube vielmehr, alles Lügen hat ein Ende gefunden; alle sind gegenseitig im Klaren, und jener Brief ist nur ein Versuch, den in jeder Beziehung unvermeidlichen Rückzug möglichst anständig zu motivieren.

Hierbey fällt mir das „Morgenblatt“ und die Gall ein, jene Ähnlichkeit muß wohl wirklich da sein, denn sie hat mir unter dem Lesen (gegen meinen Willen, ich hätte die Gall gern gerettet) immer deutlicher vor Augen geschwebt. Klüger ist die Gall, auch feiner, aber ihre Erzählung rollt doch auch zumeist um Herrn, die sich ihr zu Gefallen fast auf den Kopf stellen. Auch in der „Maske“ ist die Seelenverwandschaft nicht verkennen, dieselbe Freude an Salonsgeschichten und kleinen Schlauheiten. Ist sie einigermaßen hübsch und angenehm, so könnte L[evin] sehr gefährlich werden; ob es zu wünschen wäre? Vielleicht! Unter zwei Übeln das kleinste! (…)

Rüschhaus, 4. oder 11. Dezember 1842

Luise von Gall macht sich mit Romanen, Novellen und Reiseberichten einen Namen als Literatin und wird in den Feuilletons mehrerer Zeitungen veröffentlicht. In Darmstadt, wo sie seit Herbst 1841 wohnt, bewegt sie sich im literarischen Freundeskreis rund um das Ehepaar Ida und Ferdinand Freiligrath.
Copyright © 2024 Nach 100 Jahren. All Rights Reserved. |  by John Doe